Arrivée: Dieses französische Wort ist manchem Reisenden vertraut. Arrivée bedeutet Ankunft. Ankunft von Flugzeugen, Zügen, Schiffen – und von Personen. Darüber hinaus bezeichnet die Vokabel den Ort der Ankunft, das Ziel. Zu einem solchen Ort wurde für mich das “extra”. Die Geschichte nahm ihren Anfang vor knapp 25 Jahren. Es war die Zeit, als ich meine beiden Leidenschaften, den Journalismus und Frankreich, immer dichter miteinander verwob.
Schon zuvor hatte ich vorübergehend in diesem Lande gelebt, als Assistenzlehrer für Deutsch und zwecks Forschungen im Rahmen meines Romanistikstudiums. Als freie Journalistin kehrte ich wieder, für Begegnungen mit Schriftstellern und Wirtschaftstreibenden, für Recherchen zur Geschichte und Kulturgeschichte Frankreichs, zu seinen Mythen, Symbolen und seinen weniger bekannten Facetten.
Im Jahr 1999 feierte ich schließlich mein Debüt im “extra” der “Wiener Zeitung” – mit einem Beitrag über den französischen Politiker Jean Jaurès und dessen kollektivistische Rezepte für die krisengebeutelte Weinwirtschaft des Midi. Kein wirklich zwingendes Thema für die heimische Presse. Und doch: Das für Extras immer höchst aufgeschlossene “extra” räumte mir dafür sogar eine ganze Seite ein. Nach diesem schönen Auftakt erhielt ich ein – handschriftliches – Ermunterungsschreiben des Ressortleiters Gerald Schmickl. Solche Schriftstücke finden ihren festen Platz in der Schatulle.
Es war der Beginn einer wunderbaren Zusammenarbeit, die sich mit den Jahren intensivierte. Bald arbeitete ich auch in der “extra”-Redaktion mit, zunächst als Vertretung, und von 2013 bis 2020 als Redakteurin. Ich war in einem Ressort gelandet, wie man es sich nur erträumen konnte. Wo ein ungemein anregendes, kollegiales Klima herrschte. Wo es zum Selbstverständnis gehörte, auch das “Unabgegriffene”, das aus der Reihe Tanzende und Kontroverse zu debattieren.
Und nun? Der Vorhang fällt, das Stück ist aus. “Fin”: So stand es einst im Abspann französischer Filme zu lesen. Ende. Schluss. Die “Wiener Zeitung” ist Geschichte. Dem möchte man, bei aller Fassungslosigkeit, doch noch entgegenhalten: Nur die Geschichte, die hat kein Ende! “Seule lHistoire na pas de fin.” (Charles Baudelaire)
Un grand merci sage ich Gerald Schmickl, Hermann Schlösser, Andreas Rauschal und Andreas Tesarik für die unvergesslichen Jahre der Zusammenarbeit. Und ein dankendes Adieu allen Lesern des “extra”.
Ingeborg Waldinger schreibt seit 1999 im “extra” und war von 2013 bis 2020 Redakteurin der Beilage.
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Nun erscheint die “Wiener Zeitung” samt “extra” also zum letzten Mal in der gewohnten Form. Man muss kein Futurologe sein, um zu ahnen, dass morgen irgendwo zu lesen sein wird: “Die Wiener Zeitung ist seit gestern Geschichte.” Dabei hätte unser Blatt nicht unbedingt abgeschafft werden müssen, um “Geschichte” zu werden. Es begleitet das Geschehen in Österreich seit fast 320 Jahren. Aber in Zeiten der Disruption wird das Wort “Geschichte” vor allem als Synonym für “aus und vorbei” verwendet, und der Gedanke, Institutionen mit langer Vergangenheit könnten in Gegenwart und Zukunft sinnvoll weiterwirken, verliert rapide an Überzeugungskraft.
Aha, so zeitkritisch heute? Ja, das bleibt leider nicht aus, wenn man sich von einem Medium verabschieden muss, dem man lange verbunden war. Von 1990 bis 2018 war ich Feuilletonist bei der “Wiener Zeitung”, erst freier Mitarbeiter der lange schon verblichenen Literaturbeilage “Lesezirkel”, dann angestellter Redakteur beim “extra”, das heute gezwungenermaßen seinen Geist aufgeben muss. Auch an der Konvertierung der Papierbeilage in das Online-Produkt habe ich mitgearbeitet, aber im Herzen bin ich immer ein Papier-Journalist geblieben. Warum? Unter anderem wegen einer Dame aus Wels, die auf dem Markt einen Salat gekauft hatte, der in ein “extra” eingewickelt war. Beim Essen las sie die zerknitterten Seiten – und sie gefielen ihr so gut, dass sie bei uns anrief und ein Abonnement bestellte. Das ist schon lange her, aber diese kleine Geschichte erinnert noch immer auf liebenswürdige Weise an jenen Mikrokosmos aus Papier, Druck und Festnetz-Telefon, in dem ich fast mein ganzes Berufsleben verbracht habe.
Nun ist aber Schluss mit der Printausgabe. Die meisten Kolleginnen und Kollegen müssen sich einen neuen Job suchen, viele Leserinnen und Leser werden das Blatt vermissen. Vor allem die Älteren werden nicht so leicht einen Ersatz finden, wenn sie überhaupt noch einen suchen. Wer in die Jahre kommt, fühlt sich ja ohnehin der Gegenwart nicht mehr recht zugehörig, von der Zukunft ganz zu schweigen. Man möchte gar nicht mehr verstehen, was zum Beispiel ein Wort wie “Media Hub” bedeutet und wozu eine neue Einrichtung dieses Namens gut sein soll. Da sich solche selbst gewählten Unbelehrbarkeiten häufen, begnügt man sich mehr und mehr mit Erinnerungen an Zeiten, in denen Salate in Zeitungspapier gewickelt wurden, und gewöhnt sich schön langsam an den Gedanken des eigenen Verschwindens.
Hermann Schlösser schreibt seit 1990 in der “Wiener Zeitung” und war von 1998 bis 2018 “extra”-Redakteur.

Das “extra”-Redaktionsteam sagt Lebewohl.
– © Moritz Ziegler
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Hallo! Mein Name ist Andreas Rauschal. Sie kennen mich vielleicht noch aus Artikeln wie “Tanz den HC Strache!”, “David Hasselhoff live: Ein Auto, eine Boje, ein Mann” oder “Dieter Bohlen in Wien: Gar nicht so mega”, dem Text mit meinem persönlichen Klick-Rekord, den jedes jetzt angeblich für mehr Klicks sorgende Onlinemedium definitiv nicht übertreffen wird.
Bevor ich in Zukunft nicht vorhabe, mich wie der abgehalfterte B-Movie-Schauspieler Troy McClure aus den “Simpsons”, von dem ich mir den Einstieg in diesen Text ausgeborgt habe, als Testimonial mit viel Vergangenheit und keiner Zukunft im Privat- oder gar als Shopping-Animateur im Verkaufsfernsehen zu verdingen (“Bestellen Sie die Antisept-Teflonpfanne jetzt und erhalten Sie diese hochwertige Edelstahl-Nudelzange von Eros Amore NUR MEHR HEUTE gratis dazu!”), möchte ich Ihnen noch schnell ein kleines Geheimnis verraten.
Ja, es stimmt. Sie haben mich im “extra” der “Wiener Zeitung” vielleicht als Kasperl vom Dienst auf der Glossenseite sowie im Feuilleton als Musikkritiker kennengelernt, der furchtlos dorthin ging, wo niemand sonst je freiwillig hingehen wollte (siehe oben). Vielleicht haben Sie mich zwischen den Zeilen auch dort erkannt, wo ich Texte aus fremder Feder eingerichtet, feingeschliffen, herausgeputzt oder verschlimmbessert habe (meine Schuld, meine Schuld, meine große Schuld!). Womöglich ist Ihr Blick im Impressum aber auch einfach nur auf meinen Namen gefallen und Sie haben sich dabei gedacht, was Sie sich in Zukunft erst recht denken werden: “Ah! Nie gehört.”
In meiner intern zentralsten Rolle bin ich Ihnen aber auf jeden Fall unbekannt. Dafür werde ich meiner “extra”-Führungsfachkraft und allfälligen mit akutem Kuchenhunger bei uns im Büro einfallenden Kolleginnen und Kollegen vor allem in einer Funktion fehlen. Immerhin habe ich mich in unserer Abteilung nicht eigens zum Serviettenbeauftragten hochgearbeitet, um auch noch als solcher in Vergessenheit zu geraten.
Die Serviette, die in Zukunft bei jeder Pause fehlen wird, das bin jetzt ich. Die Lücke, die mich ersetzt, ist ein Stoffbehelf, der nicht mehr existiert – woran man die Notwendigkeit alles Haptischen dann ja vielleicht doch noch erkennen könnte. Im Gegensatz zu Nichtigkeiten wie, sagen wir, einer Tageszeitung lassen sich die wirklich wesentlichen Dinge ja nicht so einfach digital transformieren.
Erst wenn die letzte Serviette. . . werdet ihr merken. . . dass man. . . Aber entschuldigen Sie mich jetzt! Gerade spazieren die Kollegen mit etwas herein, das mir nach Guglhupf ausschaut.
Andreas Rauschal ist seit 2005 Popkritiker der “Wiener Zeitung” und seit 2018 “extra”-Redakteur.
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Wenn allem Anfang ein Zauber innewohnt, was haust dagegen im Abschied? Wehmut, Zorn, Verzweiflung, Abgeklärtheit, trotziges Heldentum? “Geh nicht in Frieden in die gute Nacht. Wüte, wüte, wenn das Licht erlischt. Aufbegehren sollst du, am Ende deines Tags.” – So singt der Theaterchor in Elisabeth Klars Roman “Es gibt uns”, solange er noch singen kann.
Wüten wir also, auch wenn es nicht mehr hilft, denn nun ist es so weit: Ende Gelände, Klappe zu, Licht aus. Wir verbeugen uns noch einmal, bevor der Vorhang fällt, bitte behalten Sie uns in guter Erinnerung. Und auch dies sei nicht vergessen: Das “extra” und die “Wiener Zeitung” sind nicht gestorben, sie wurden umgebracht. Die Täter*innen sind bekannt, behalten Sie diese Leute bitte in schlechter Erinnerung.
Wenn das Archiv die Rache der Journalisten an den Politikern ist, müsste sie in dieser Causa fürchterlich sein. Doch wenn es die Regierung gar nicht kümmert, dass sie nun in widerwärtiger Nähe zum Regime von 1940 steht, indem sie die “Wiener Zeitung” in den Orkus gekickt hat? Davor kann man sich ekeln, doch hat der Philosoph und Psychologe Carlo Strenger (in anderem Zusammenhang) die vielleicht bessere Haltung benannt: zivilisierte Verachtung. Bewahren Sie bitte auch diese in Kopf und Herzen, gegenüber jenen, welche die “Wiener Zeitung” und mit ihr das “extra” gemeuchelt haben. Und an Wut soll es auch nicht mangeln.
Uns, der schreibenden Zunft, bleibt zur Gegenwehr doch nur das Wort. Das ist zwar manchmal mächtiger als das Schwert, jedoch nur dann, wenn Worte und gute Argumente etwas zählen. Bitte lachen Sie nicht! Ich weiß, in welchem Land wir leben.
Ich selbst war nur rund 5 Prozent der Bestandsdauer der “Wiener Zeitung” Teil dieser wundersamen Redaktion und im Team des “extra” nur wenige Jahre – aber immerhin waren es Jahre. Eine helle Zeit, in der ich mit inspirierenden Menschen zusammenarbeiten durfte, mit dem seltsamen Stolz, an einem Projekt mitzuwirken, das vor über drei Jahrhunderten begonnen wurde.
Es währte lange, doch es endet nicht gut. Denn leider ist es in Österreich nicht vorgesehen, dass Stimmen der Zivilgesellschaft auch Gehör finden, die Appelle aus der Wissenschaft, der Kunst und aus den Kirchen, von Intellektuellen und von einer Nobelpreisträgerin. Die Zeiten ändern sich, doch offenbar werden sie nicht besser. Dabei könnten sie es durchaus sein. Wüten wir also weiter, und gehen wir nicht in Demut unserer Wege.
Andreas Tesarik, seit 2007 Mitarbeiter der “Wiener Zeitung”, seit Herbst 2019 im “extra”.