Lange wurde spekuliert, ob es sich bei einem 1929 im Rahmen der österreichischen Ausgrabungen in Ephesos gefundenen Schädel um jenen von Kleopatras Schwester, Arsinoë IV, handeln könnte – neue Erkenntnisse zeigen aber nun, dass dem nicht so ist.  

Die Analysen der alten DNA von Wiener Forschern weisen auf einen elf- bis 14-jährigen “jungen Römer” hin, der nicht aus Ägypten stammte und unter einer schweren Erkrankung litt, wie es am Freitag hieß.

Gefunden wurde der Schädel von dem österreichischen Archäologen Josef Keil in der heute in der Westtürkei liegenden ehemaligen antiken Metropole. Alleine der Auffindeort legte einen Grundstein für spätere Spekulationen: So fand sich das komplette Skelett in einem an die damalige ägyptische Architektur erinnernden achteckigen Mausoleum – ein “Oktagon” – an einer der wichtigsten Prozessionsstraßen im Zentrum der einstigen Stadt, in der seit über 130 Jahren mehr oder weniger jährlich Grabungen des Österreichischen Instituts für Archäologie (ÖAI) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) stattfinden. Keil hob damals allerdings nur den Schädel, der über Berlin nach seiner Berufung an die Universität Wien seinen Weg in das dortige anthropologische Archiv fand.

“Haben Fakten anstatt von Gerüchten sprechen lassen”

Ebenda informierten am Freitag Forscher über ihre nun im Fachmagazin “Scientific Reports” vorgestellten neuen Erkenntnisse. “Wir haben jetzt Fakten anstatt von Gerüchten sprechen lassen”, so Uni Wien-Anthropologe Gerhard Weber. Denn derer gab es genug über die Jahrzehnte hinweg: Schon Keil habe über “eine ganz vornehme Persönlichkeit”, bei der es sich vermutlich um eine rund 20-jährige Frau handelte, spekuliert. Auch in einer Publikation in den 1950er Jahren und einer Analyse des Skeletts aus dem Jahr 2009 wurde ähnlich argumentiert. Erst im vergangenen Jahr publizierten etwa auch die beiden Forscher Ernst Rudolf und Peter Scherrer ein Buch mit dem Titel “The Octagon of Arsinoë IV in Ephesos”.

In das so verlockende Bild passten auch die historischen Fakten, denen zufolge Arsinoë IV nach einem verlorenen Machtkampf mit ihrer heute ungleich bekannteren älteren Schwester Kleopatra zuerst ins Exil in das Artemis-Heiligtum von Ephesos verbannt und dann um das Jahr 41 vor Christus auf die Veranlassung von Marcus Antonius, seines Zeichens Geliebter von Kleopatra, ermordet wurde. All das nährte ab 1990 die Hypothese, die nun das Team um Weber und den ÖAI-Archäologen Martin Steskal entkräftet. An der Publikation war auch die 2024 verstorbene langjährige Grabungsleiterin in Ephesos, Sabine Ladstätter, beteiligt.

“Indiana Jones-Geschichte” mit “Jungem Römer” in Hauptrolle

Den alten Gebeinen – 1982 wurden auch die restlichen Knochen geborgen – rückte man nun am Department für Evolutionäre Anthropologie der Uni Wien mit neuesten wissenschaftlichen Methoden zu Leibe: Die neue Datierung – zwischen den Jahren 36 und 205 vor unserer Zeitrechnung – hätte noch gut zum Sterbejahr Arsinoës gepasst. Zur Überraschung des weitverzweigten Forschungsteams zeigte aber sowohl das Erbgut vom Schädel als auch des untersuchten Oberschenkelknochens “ganz eindeutig in wiederholten Versuchen das Vorliegen eines Y-Chromosoms – also eines Mannes, eines ‘Jungen Römers'”, so Weber. Die im Jahr 1929 begonnene “Indiana Jones-Geschichte” finde damit ein vorläufiges Ende in ihrer oft erzählten Form.

Tatsächlich harre dieses “große Drama der Antike”, wie es der Grabungsleiter in Ephesos, Martin Steskal vom ÖAI, ausdrückte, aber immer noch der finalen Aufklärung – wenn diese überhaupt gelingen kann. Die Geschichte um die Überreste in dem Oktagon sei nämlich noch nicht auserzählt. Denn neben der Tatsache, dass zu jener Zeit eigentlich nur äußerst honorige Personen innerhalb der Stadt bestattet wurden, es keine Grabinschrift gibt und es höchst ungewöhnlich sei, “dass für ein so junges Kind ein derartiges Grabmal entstanden ist”, sei noch vieles offen. Steskal: “Wir stehen wieder am Anfang der Diskussion.” Zwar wolle man nun nicht erneute mehr oder weniger wilde Spekulationen anstellen, aber eine Verbindung zu Arsinoë könne immer noch bestehen. Vielleicht wurde zum Beispiel ein falsches Skelett in das erst Jahrzehnte nach dem Tod der Prinzessin errichtete Mausoleum gelegt.

“Anomalie im Wachstum, die sich gewaschen hat”

Abseits von Vermutungen könne man aber über den jungen Mann im Sarkophag heute einige Angaben machen: So deutet die Erbgut-Analyse auf eine Abstammung des Buben bzw. Jugendlichen vom italienischen Festland oder aus Sardinien hin. Die Auswertung der detaillierten Scans des Schädels lassen auf einige gesundheitliche Probleme des unbekannten jungen Mannes schließen, der ob des Ortes seiner Bestattung eine hohe soziale Stellung gehabt haben muss.

So präsentierte sich eine Knochennaht auf der Unterseite des Schädels, die eigentlich erst um das 65. Lebensjahr verwächst, bereits als geschlossen. Dementsprechend unterschiedlich wuchsen die beiden Schädelhälften. Auch der Oberkiefer erscheint unterentwickelt und Teile des Gesichts müssen auffällig geformt gewesen sein, was ebenso auf Probleme beim Kauen schließen lässt wie die unterschiedliche Abnützung der beiden im Schädel verbliebenen Zähne. Laut Weber hat man es hier mit einer “Anomalie im Wachstum, die sich gewaschen hat”, zu tun. Der Grund für diese Probleme könnte ein ausgeprägter Vitamin-D-Mangel oder eine genetische Erkrankung gewesen sein, so die Wissenschafterinnen und Wissenschafter. Weitere Untersuchungen könnten etwa klären, ob der Bub am “Treacher-Collins-Syndrom” gelitten haben könnte, erklärte der Anthropologe.

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