Die Europäische Kommission lässt zum ersten Mal ein Medikament zur Behandlung von Alzheimer zu. Lecanemab ist ein Antikörper, der bei Patienten mit einer Alzheimer-Erkrankung im Frühstadium eingesetzt werden kann. Im Medikament Leqembi ist der Wirkstoff Lecanemab verarbeitet.
EU-weit/Brüssel. Die Europäische Kommission hat erstmals eine Alzheimer-Therapie zugelassen, die auf zugrunde liegende Krankheitsprozesse abzielt. Der Antikörper Lecanemab sei für eine Behandlung im frühen Stadium und das erste Medikament dieser Art, das in der EU zugelassen werde, teilte die Kommission mit. Fachleuten zufolge kommt nur ein sehr kleiner Teil der Alzheimer-Patienten für diese Therapie infrage.
Das Medikament, das in einigen Monaten verfügbar sein könnte, soll die Krankheit ein wenig verlangsamen. In Österreich gibt es laut Gesundheitsministerium rund 130.000 bis 150.000 Menschen mit der Form einer demenziellen Beeinträchtigung – aufgrund der demographischen Entwicklungen und der zunehmenden Lebenserwartung sei von einem weiteren Anstieg dieser Zahl auszugehen, hieß es auf der Online-Präsenz.
Zulassung mit strengen Auflagen
Die Zulassung des Medikaments unterliegt laut EU-Kommission strengen Auflagen. Man sei zu dem Schluss gekommen, dass der Nutzen des Arzneimittels bei einer bestimmten Gruppe von Patienten und unter bestimmten Voraussetzung die Risiken überwiege. Die Brüsseler Behörde folgte mit der Zulassung der Empfehlung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA). Bisherige Alzheimer-Therapien behandeln nur Symptome der Krankheit, nicht ursächliche Prozesse im Gehirn.
Das ist bei Lecanemab anders: Der Antikörper richtet sich gegen Amyloid-Ablagerungen im Gehirn und soll dadurch den Verlauf der Krankheit in einem frühen Stadium verlangsamen. Um Heilung oder Verbesserung geht es allerdings auch bei diesem Wirkstoff nicht – ein solches Mittel ist weiterhin nicht in Sicht.
Minimale Verzögerung
Hauptmaßstab für die Wirksamkeit der Therapie war die Veränderung der kognitiven und funktionellen Symptome nach 18 Monaten, die anhand einer von 0 bis 18 reichenden Demenzbewertungsskala gemessen wurde, wie es von der EMA hieß. Mit Lecanemab behandelte Patienten wiesen im Mittel einen etwas geringeren Anstieg des Wertes auf (1,22 gegenüber 1,75).
Fraglich ist Experten zufolge, wie alltagsrelevant diese leichte Verzögerung ist. „Sobald das Vollbild einer Alzheimer-Erkrankung vorliegt, sind die statistisch beschriebenen Effekte für den Patienten und sein Umfeld zumeist nicht mehr wahrnehmbar“, sagte Walter Schulz-Schaeffer vom Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg.
Experten zufolge wird es noch einige Monate dauern, bis das Mittel wirklich eingesetzt werden kann – unter anderem, weil der Hersteller verpflichtet wurde, ausführliche Handreichungen und Schulungen für Ärzte auszuarbeiten und ein Beobachtungsregister anzulegen. Das Medikament wird alle zwei Wochen intravenös verabreicht.
Nur im Anfangsstadium einsetzbar
Zugelassen ist Lecanemab nur zur Behandlung von leichter kognitiver Beeinträchtigung (Gedächtnis- und Denkstörungen) oder leichter Demenz in einem frühen Stadium der Alzheimer-Krankheit. Der Grund ist, dass eine Entfernung der Amyloid-Plaques nichts mehr nützt, wenn diese schon irreversible Schäden im Gehirn angerichtet haben.
Hinzu kommt eine weitere Einschränkung: Das Mittel soll nur für diejenigen Alzheimer-Patienten verwendet werden, die eine oder keine Kopie von ApoE4, einer bestimmten Form des Gens für das Protein Apolipoprotein E, haben. Bei ihnen ist die Wahrscheinlichkeit für bestimmte schwerwiegende Nebenwirkungen – Schwellungen und Blutungen im Gehirn – geringer als bei Menschen mit zwei ApoE4-Kopien.
Nur für einen kleinen Teil der Patienten
Experten des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) zufolge kommt letztlich nur ein sehr kleiner Teil der Patienten für die neue Therapie infrage. Als frühe Phase – und damit die mögliche Phase für eine Antikörpertherapie – sind demnach die ersten drei Jahre zu werten.
Bei Frauen ist der beobachtete klinische Effekt deutlich geringer als bei Männern – ihr Risiko für Nebenwirkungen hingegen höher. Ob sie überhaupt von einer Behandlung profitieren, ist der Alzheimer Forschung Initiative zufolge noch unklar. Rund zwei Drittel aller Menschen mit Alzheimer sind Frauen.
Hohe Kosten
Unklar sind auch die Medikamentenkosten für Lecanemab in Europa. In den USA seien es etwa 26.500 US-Dollar (ca. 23.000 Euro) jährlich pro Patient, schätzte Johannes Levin vom DZNE Ende des vergangenen Jahres. Hinzu kommen demnach im Vorfeld einmalige Kosten für die Diagnostik in Höhe von geschätzt 1.400 bis 5.000 Euro. Die Kosten für die Verabreichung des Medikaments lägen groben Schätzungen zufolge bei etwa 6.000 bis 8.000 Euro jährlich, sagte der Experte. Lecanemab wird als intravenöse Infusion alle zwei Wochen verabreicht.
Die in Studien erfassten Schwellungen und Mikroblutungen im Gehirn von Patienten blieben zwar überwiegend ohne Symptome und wurden meist erst durch bildgebende Verfahren bemerkt. Insbesondere bei wiederholtem Auftreten drohen jedoch eine verminderte Gehirnleistung oder Koordinationsschwierigkeiten. Mikroblutungen gelten zudem als Risikofaktor für größere, potenziell lebensbedrohliche Hirnblutungen. Die meisten von Alzheimer Betroffenen sind älter als 80 Jahre, nur in seltenen Fällen beginnt die Krankheit vor dem 65. Lebensjahr.