Burgtheaterdirektor Stefan Bachmann setzt in seiner ersten Neuinszenierung auf formale Strenge – Max Simonischek überzeugt im Akademietheater als grübelnder Prophet zwischen Wissenschaft und Krieg
Unablässig dreht sich das Rad der Geschichte. Mittendrin: aus Ungarn in die USA geflüchtete jüdische Physiker im Wettrennen um “die Bombe”. In Stefano Massinis am Donnerstag im Akademietheater uraufgeführtem “Manhattan Project” dreht sich – im wahrsten Sinne des Wortes – alles um die Forschergruppe rund um Robert Oppenheimer. Burgtheaterdirektor Stefan Bachmann ist ein hoch konzentrierter, ästhetisch streng komponierter Abend gelungen, der höchste Aufmerksamkeit verlangt.
Es ist Bachmanns erste Neuinszenierung seiner Intendanz in Wien und mit dem Stück des italienischen Autors knüpft er an ein historisches Thema an, das Christopher Nolan mit seinem Oscar-prämierten Streifen “Oppenheimer” im Vorjahr der breiten Masse nahegebracht hat. Dabei steht zunächst weniger die konkrete Forschung an der Realisierbarkeit der Atombombe im Zentrum als die individuellen Flucht- und Ankunftsgeschichten der Protagonisten, ihre Eigenheiten und Träume und schließlich ihre fieberhafte Suche nach den kleinsten Teilchen: “Was verbirgt sich im unendlich Kleinen / in der Materie / in der Energie / im Innersten”, heißt es an einer Stelle von Massinis forderndem, sehr lyrisch gestrickten Text, der stetig zwischen Ich-Perspektive und Erzählen in der dritten Person wechselt und auch chorische Passagen umfasst. Die jungen Männer sind getrieben von der Frage “Was passiert, wenn …” und landen bei der Uranspaltung.
Als Bachmanns Partner in Crime agiert das düstere Bühnenbild von Olaf Altmann. Der hat die Bühne mit einer schwarzen Wand verkleidet, in der ein kreisrundes Loch klafft: Darin dreht sich – hinter Gittern – jenes Hamsterrad, in dem die Physiker unablässig auf das Ende der Geschichte zusteuern. In den durch schwarze Wände voneinander getrennten Vierteln versuchen sich Thiemo Strutzenberger, Felix Rech, Justus Maier und Markus Meyer als ungarische Physiker drei Stunden lang auf den Beinen zu halten (Choreografie und Körperarbeit: Sabina Perry). Kurz vor der Pause kommen sie zum Schluss, dass Präsident Roosevelt dringend ein Forschungsprojekt in Auftrag geben muss, was dank der Hilfe des Ökonomen Alexander Sachs (Michael Wächter) und unter ständiger Erwähnung des Namens Einstein schließlich ermöglicht wird.
Erst in der zweiten Hälfte des Abends wird Max Simonischek als Robert Oppenheimer – Leiter des “Manhattan Projects” zum Bau der Atombombe – dazustoßen. Das lustvolle Forschen und Theoretisieren aus dem ersten Teil wird so plötzlich zum bitteren Ernst. Bernd Purkrabek hat dafür ein apokalyptisch-gleißendes Licht geschaffen, in dem Simonischek zwischen Forschungsinteresse und Zweifel an der Massenvernichtungswaffe ins Grübeln kommt. Alle Augen, alle Scheinwerfer sind auf ihn gerichtet. Dabei kommt die im ersten Teil nur peripher gestreifte Religion der Forscher in dem mit “Buch der Propheten” übertitelten zweiten Teil immer stärker zum Tragen. Oppenheimer steigert sich in die ihm zugeschriebene Rolle des Propheten hinein, zitiert aus dem Alten Testament und verfängt sich im Delirium in Dialogen mit seinen Vorvätern.
Dieser metaphysische Akzent in Massinis Text ist irritierend und hebt das Geschehen rund um eine der weltpolitisch wichtigsten Erfindungen auf eine entrückte Ebene. Hatte man zuvor schon große Mühe, den physikalisch-philosophischen Dialogen im sich ständig drehenden Rad zu folgen, führen die zahlreichen Anspielungen auf das Alte Testament zu noch mehr Fragezeichen. Am Ende wirkt es bisweilen wie ein wahnhafter Fiebertraum, als die Atombombe gebaut und bereit für ihren ersten Einsatz ist, vor dem sich nun selbst die Forscher ängstigen. Bachmann setzt in dieser ersten Inszenierung auf eine strenge Form, die der Komplexität von Text und Thema den Rahmen gibt. Lang anhaltender Applaus für einen fordernden, aber lohnenden Abend.