Chemiebetriebe stehen zunehmend im medialen Fokus, da Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Gesundheitsthemen stärker diskutiert werden. Die Branche polarisiert zwischen Risiken, Emissionen und Innovationen sowie der mangelhaften Umsetzung der Seveso III-Richtlinie Österreichs.

oe24 hat vor zwei Wochen über das Chlorgas-Lager der Donau Chemie in Brückl berichtet, die Chlorgas für die Pool- und Hallenbad-Desinfektion erzeugt und verkauft. Dieses wird vor Ort in Stahlflaschen gelagert. Dr. Wolfgang List von der gleichnamigen Rechtsanwaltskanzlei in Wien ist spezialisiert auf Umweltthemen sowie Betriebsanlagengenehmigungen und den damit verbundenen Seveso-Richtlinien im Interview:   

OE24: Können Sie den Österreichern kurz erklären, worum es sich bei der Seveso-Richtlinie handelt?
WOLFGANG LIST: Zurückzuführen ist die Richtlinie auf einen folgenschweren Industrieunfall 1976 im italienischen Ort Seveso. Danach hat man diese sogenannte Seveso-Vorschrift zum Schutz der Menschen entwickelt – vereinfacht gesagt zum Schutz der Umwelt. Aktuell gilt in der EU inzwischen die Seveso-Richtlinie III, die besagt, dass Chemie- und Industrieanlagen (sogenannte Seveso-Betriebe) keine bzw. möglichst keine Gefährdung für die Umwelt und die Gesundheit der Menschen darstellen sollen – es dürfen keine Giftgase austreten und sich keine Giftgaswolken bilden, die sich niederschlagen könnten.

OE24: Auch Österreich muss dieser Richtlinie nachkommen.
LIST: In Österreich gibt es landes- und bundesrechtliche Vorschriften –ich sage nur Gewerbeordnung. Und es gibt die besondere Verpflichtung für Seveso-Betriebe, die Öffentlichkeit über ihre Tätigkeit, Gefährlichkeit und über das richtige Verhalten bei einem Unfall zu informieren. Dies ist aus meiner Sicht derzeit unzureichend.

OE24: Gibt es einen Mindestabstand für Chemiebetriebe zu Siedlungsgebieten?
LIST: In Österreich gibt es dafür keine gesetzliche Regelung. Dies sollte die nächste Regierung angehen. Ein deutscher Expertenkreis sagt, dass ein Chemiebetrieb, der 65.000 Tonnen pro Jahr Chlor produziert, einen Abstand von mindestens zwei Kilometern einhalten sollte. Wir haben uns diesbezüglich das Werk der Donau Chemie in Brückl/Kärnten angeschaut, die meines Wissens 10.000 bis 15.000 Tonnen Chlor pro Jahr erzeugen und 300 bis 500 Meter Abstand zum Siedlungsgebiet hat – das ist extrem wenig – und ich halte das für problematisch. Man sollte sich den Gefährdungsradius überlegen, denn Chlorgas ist extrem riskant.

OE24: Gibt es neben dem Sicherheitsabstand noch andere Vorschriften?
LIST: Es geht um die Informationspflicht, und wir haben uns dazu die Homepage der Donau Chemie angeschaut, mit der ich auch schon beruflich beim HCB-Skandal (krebserregendes Fungizid) zu tun hatte. Hier findet man nur sehr matte Informationen, u. a. den Hinweis, man soll die Fenster abkleben. Ob das funktioniert, sei fraglich. Die Richtlinie schreibt zwingend Schulungen und Übungen für den Notfall vor.

OE24: Was wäre hier Ihre Forderung im Falle eines Chemieunfalls, und sind die Bürger in der Region rund um Brückl ausreichend geschützt?
LIST: Der gefährliche Betrieb hat im Notfall dafür zu sorgen, dass die Leute flüchten können. Er muss Evakuierungszonen festlegen und Schutzanzüge bereitstellen. Hier braucht es klare gesetzliche Normen. Was Brückl betrifft, kann ich das nur schwer beantworten: Der Luxusschutz ist es sicherlich nicht.

OE24: Sie haben sich die Umsetzung der Seveso-Richtlinie bei Chemiebetrieben angeschaut. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?
LIST: Wir haben die Donau Chemie in Brückl als Fallbeispiel genommen und möchten nach der Beantwortung der Fragen durch Land, Bezirksbehörde und Gemeinde notwendige rechtliche Rahmenbedingungen schaffen. Es gibt immer wieder neue Gesetze, die die Betriebe verpflichten, ihr Unternehmen an den neuesten Stand der Technik anzupassen.

OE24: Kann man es verbieten? Gibt es dafür Alternativen?LIST: Ja, die gibt es. Können Sie sich erinnern, als man Asbest verboten hat? Es war die totale Katastrophe! Heute geht es „nur“ noch um die ordnungsgemäße Entsorgung. Über kurz oder lang wird auch Chlorgas verboten werden.

Exit mobile version