Die Tiroler Sportpädagogin und Public Health-Expertin Katharina Wirnitzer sieht im Schulsport eine zentrale Säule für die Gesundheitsbildung und damit die öffentliche Gesundheit.
Sie plädiere daher dafür, dass die „tägliche Bewegungseinheit“ kommt – „nicht als zusätzliche Option oder allein an Ganztagsschulen, sondern als Regelunterricht“, wie Wirnitzer im APA-Gespräch erklärte. Im aktuellen Lehrplan sehe sie viele „Potenziale“ und „Chancen“, die es zu nutzen gelte.
In ihren Studien erforscht die Sportwissenschafterin jedenfalls das schulische Potenzial zur Gesundheitsförderung mit dem „Lehrplan als wichtiges Public Health-Tool“ und sucht nach Synergien zwischen Sport, Ernährung und Gesundheit. „Sport ist wie Atmen“, sagte Wirnitzer und unterstrich damit die essenzielle Bedeutung von Bewegung im schulischen Alltag. Gerade angesichts steigender Gesundheitskosten sei Prävention wichtiger denn je: „Österreich gibt Milliarden für die Behandlung von Erkrankungen aus, die auf Bewegungsmangel und ungesunde Ernährung zurückzuführen sind – wie etwa Übergewicht, ein Risikofaktor für viele chronische Krankheiten.“
Lehrplan als „wichtiges Public Health-Tool“ mit enormem Potenzial
Wirnitzer selbst bezeichnete sich zwar als „Fan“ des neuen Lehrplans, ortete aber auch da und dort Optimierungsmöglichkeiten. Eine tägliche Bewegungseinheit im Regelunterricht – „nicht nur als Projekt, optional und zusätzlich“ – wäre beispielsweise „sehr sinnvoll“ und würde langfristig „positive Auswirkungen auf die Volksgesundheit“ haben, war Wirnitzer überzeugt. „Solange Bewegung und Sport mit anderen Unterrichtsfächern konkurrieren muss und als Nebenfach gilt, wird dem Pflichtfach weiterhin die große Bedeutung zur Verbesserung der individuellen und gesamtgesellschaftlichen Gesundheit vorenthalten, und das enorme Gesundheitspotenzial bleibt ungenutzt“, erklärte die Professorin. Sie plädiere daher für eine generelle Aufstockung des Bildungsbudgets mit Fokus auf Gesundheit. Dafür wäre sowohl eine enge Zusammenarbeit zwischen Bildungs- und Gesundheitsministerium wünschenswert, als auch zwischen den Professionen.
Gesundheitsförderung als fächerübergreifendes Unterrichtsprinzip – Basismodul „Power of Lifestyle“
Ein Schritt in diese Richtung sei die Einführung des neuen fächerübergreifenden Unterrichtsprinzips „Gesundheitsförderung und Gesundheitserziehung“ – daher relevant für alle Pflichtgegenstände – gewesen. Dieses müsse nun jedoch mit verbindlichen Inhalten gefüllt und flächendeckend im Regelunterricht realisiert werden. Alle Lehrpersonen – nicht nur jene für Sport – sollten jedenfalls künftig grundlegendes Wissen zu Bewegung und Ernährung als Gesundheitsressource in ihre Fächer integrieren. „Im Biologieunterricht könnte der Zusammenhang von Stoffwechsel bei Aktivität oder Inaktivität behandelt werden, und im Mathematikunterricht könnten entsprechende Kalorienberechnungen durchgeführt werden“, schlug Wirnitzer exemplarisch vor. Ziel sei, dass sich bei Schülerinnen und Schülern über die neun Pflichtschuljahre hinweg ein ganzheitliches Gesundheitsverständnis entwickeln könne.
Neben einem strukturellen Ausbau von Bewegung und Sport sowie Gesundheitsbildung im Lehrplan, sind laut Wirnitzer auch Reformen in der universitären Ausbildung von Lehrkräften und Medizinern notwendig: Ein Basismodul wie „Power of Lifestyle“, mit Lehrveranstaltungen wie z. B. „Bewegung ist Medizin“ oder „Nahrung als Medizin“, könne Studierende besser auf komplexe Anforderungen vorbereiten. Fort- und Weiterbildungsangebote für bereits tätige Lehrpersonen und medizinische Fachkräfte seien ebenso notwendig, um Synergien zwischen den Disziplinen zu schaffen.
Mehrstufiger Plan zur Kosteneinschränkung – Public Health beginnt in der Schule
Mit einem mehrstufigen Plan – von Forschung über Ausbildung bis hin zur schulischen Umsetzung – könne man jedenfalls langfristig „zur Entlastung des Gesundheitssystems beitragen“ und damit sogar „monetär einsparen“, sagte Wirnitzer. Sie wünsche sich eine Bildungspolitik, die Gesundheit nicht als Nebensache, sondern als integralen Bestandteil des Lernens versteht. „Nur so kann man Kinder und Jugendliche wirklich befähigen, ein gesundes Leben zu führen – körperlich, geistig und sozial.“
Die Schule sei ein idealer Ort, um frühzeitig einem ungesunden Lebensstil gegenzusteuern, unterstrich die Sportpädagogin – mit mehr Bewegung und Sport als Ausgangspunkt, besserer Ernährungskompetenz und einem ganzheitlichen Gesundheitsansatz auf allen Bildungsebenen. Die als Hochschulprofessorin an der Pädagogischen Hochschule Tirol tätige Wirnitzer leitet das Fachdidaktik-Team „Bewegung, Sport & Gesundheit“ und ist darüber hinaus Studienleiterin. Seit Jahren erforscht sie dabei die Wechselwirkungen zwischen Bewegung, Ernährung und Bildung – mit Fokus auf Kinder und Jugendliche. Ihre Studien würden bewusst im Schulsport ansetzen, denn dort, so die Tirolerin, liege der Grundstein als Schlüssel zu nachhaltiger Gesundheitskompetenz.
„Ganzheitlicher sowie gleichzeitiger Blick“ auf Bewegung und Ernährung
Besonders wichtig sei ihr der „ganzheitliche sowie gleichzeitige Blick“ auf Bewegung und Ernährung. Eine Kombination, die in internationalen Studien – wie etwa der HBSC-Erhebung der Weltgesundheitsorganisation WHO – bisher kaum berücksichtigt werde. In ihren eigenen Untersuchungen versuche sie diese Lücke zu schließen – auch unter Berücksichtigung nachhaltiger Ernährungsformen und sozialer Faktoren: „Menschen mit höherem Bildungsniveau haben nämlich in der Regel auch einen besseren Gesundheitsstatus“, erklärte Wirnitzer.