Stocker traf am Rande des Gipfels auch zu einem Vier-Augen-Gespräch mit Selenskyj zusammen.
Brüssel. Die EU-Staats- und Regierungschefs sind Donnerstag in Brüssel zu einem entscheidenden Gipfel zusammengekommen. Im Zentrum steht die Unterstützung der Ukraine und die Aufrüstung Europas. EU-Ratspräsident Antonio Costa und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen begrüßten den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj betont herzlich. Dies sei “ein Moment des Wendepunkts für Europa”, sagte von der Leyen. Österreich ist erstmals von Kanzler Christian Stocker (ÖVP) vertreten.
Nach seiner Abreise vom Gipfel erklärte Selenskyj auf X, er habe mit von der Leyen und EU-Ratspräsident António Costa über die Stärkung der Verteidigungsfähigkeiten der Ukraine und ganz Europas gesprochen. “Luftverteidigung, Waffen und Munition für die Ukraine, rechtzeitige Lieferungen, Stärkung der ukrainischen Rüstungsindustrie, EU-Beitrittsverhandlungen, die Notwendigkeit, den Sanktionsdruck auf Russland zu erhöhen und der Umgehung von Sanktionen entgegenzuwirken – all dies gehörte zu den Themen, die wir heute behandelt haben.”
Stocker: Freie Ukraine im Interesse der EU und USA
Eine freie souveräne Ukraine sei im Interesse Europas und der USA, betonte Stocker. “Meine erste Reise führt mich nach Brüssel, in einer durchaus herausfordernden Situation”, sagte er bei seiner Ankunft. Stocker unterstrich zugleich die Neutralität, die in Österreich im Verfassungsrang stehe. Stocker traf am Rande des Gipfels auch zu einem Vier-Augen-Gespräch mit Selenskyj zusammen.
Stocker bekräftigte die Bedeutung guter transatlantischer Beziehungen; diese seien sowohl im Interesse Europas als auch der USA. Aber auch “eine freie Ukraine und ein souveränes Land” lägen im beidseitigen Interesse. Europa werde die Dinge hier ein Stück wieder selbst in die Hand nehmen, meinte der Bundeskanzler. Österreich habe im Rahmen der Neutralität an der Unterstützung für die Ukraine teilgenommen, und werde dies auch weiter tun.
“Neutralität in Europa bekannt und akzeptiert”
“Wir befinden uns in Österreich auf dem Boden unserer Neutralität, die steht im Verfassungsrang”, bekräftigte Stocker das klare Bekenntnis der neuen Regierung zur Neutralität. Dies sei in Europa auch “bekannt und akzeptiert”. Österreich habe in der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU auf “dieser Basis unsere Rolle eingenommen”. Es gebe “Beistandsverpflichtungen, wir werden sehen, wie diese ausgestaltet werden”. Dies sei “noch nicht sehr konkret”. Man werde sehen, “was die Zukunft bringt”.
“Moment des Wendepunkts für Europa”
Europa stehe sich einer echten Gefahr gegenüber, sagte von der Leyen in Hinblick auf Russland. “Wir wollen Frieden durch Stärke.” Deshalb habe sie auch den Vorschlag für eine Aufrüstung Europas im Umfang von bis zu 800 Milliarden Euro vorgelegt. Es sei wichtig, so lange zur Ukraine zu stehen, “so lange es notwendig ist”. Der EU-Gipfel müsse zu Entscheidungen kommen und “liefern”, betonte auch Costa.
Selenskyj dankt für Unterstützung
Zu Selenskyj sagte Costa: “Wolodymyr, du bist hier immer willkommen.” Selenskyj betonte im Namen der ukrainischen Nation seine Wertschätzung für die Unterstützung Europas. “Es ist großartig, dass wir nicht alleine sind. Danke für alles”, so der ukrainische Präsident.
Bei einem Besuch Selenskyjs im Weißen Haus in Washington war es in der Vorwoche zum Eklat gekommen. US-Präsident Donald Trump und US-Vizepräsident J.D. Vance warfen Selenskyj dabei Undankbarkeit und fehlenden Respekt vor. Das Treffen wurde vorzeitig abgebrochen. Trump setzte nach dem Eklat die Militärhilfen für die Ukraine aus. Viele europäische Regierungschefs drückten Selenskyj später ihre Solidarität aus.
Stärkung der Verteidigungsbereitschaft im Mittelpunkt
Die EU-Kommission will 800 Milliarden Euro mobilisieren, um von Dritten wie den USA unabhängiger zu werden und gegen neue Gefahren gewappnet zu sein. In einem Entwurf der Gipfel-Abschlusserklärung vom Mittwoch wird erneut betont, dass keine “Verhandlungen über die Ukraine ohne die Ukraine” oder ohne Europas Beteiligung stattfinden könnten, ohne die USA oder US-Präsident Donald Trump wörtlich zu erwähnen. EU-Diplomaten betonten im Vorfeld des Gipfels die eindeutige Bereitschaft der Mehrheit der Mitgliedstaaten, Europa rasch aufzurüsten. Auch Europas Unterstützung für die Ukraine sei “unerschütterlich”. Die Kommission werde aufgefordert werden, rasch konkrete Vorschläge und Projekte zur Stärkung der Verteidigungsbereitschaft auszuarbeiten und umzusetzen.
Widerstand gegen den Ukraine-Teil der Gipfelerklärung hat Ungarns Premier Viktor Orbán angekündigt. Laut Diplomaten ist noch offen, ob die Erklärung von allen 27 EU-Staaten beschlossen wird oder als Erklärung der anderen 26 Staaten. Ungarn habe verlangt, dass sich die EU-Erklärung auf den Inhalt der zuletzt im UNO-Sicherheitsrat mit den Stimmen der USA beschlossenen Moskau-freundlichen Resolution beschränkt, hieß es. Darin wird Russland nicht als Aggressor genannt.
Meinl-Reisinger: EU Garant für Frieden, Sicherheit und Wohlstand
Ebenfalls in Brüssel waren am Donnerstag Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (NEOS), die die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas und den österreichischen EU-Kommissar Magnus Brunner traf, und Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ), der an dem Treffen der europäischen Sozialdemokraten (SPE) vor dem Gipfel teilnahm. Sie habe bewusst Brüssel als Ziel ihrer ersten Auslandsreise gewählt, betonte Meinl-Reisinger in einer Aussendung.
“Wir sind mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, die wir nur gemeinsam als Europäische Union bewältigen können – sei es der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, der Kampf gegen irreguläre Migration oder die Situation im Nahen Osten.” Die EU sei für Österreich Garant für Frieden, Sicherheit und Wohlstand. Österreich werde “ein solidarischer und verlässlicher Partner bleiben”, betonte Meinl-Reisinger. Mit Kallas sei sie sich einig, “dass die EU international selbstbewusst und geeint auftreten muss. Die EU hat eine Schlüsselrolle, um einen gerechten und nachhaltigen Frieden für die Ukraine zu sichern. Bei dem Treffen mit Migrationskommissar Brunner habe sie insbesondere die Themen Grenzschutz sowie effektive Rückführungen angesprochen, bei denen dringend Fortschritte erzielt werden müssten.