Der Neurologe sagt: „Die öffentlichen Auftritte Joe Bidens lassen die Vermutung einer neurologischen Erkrankung des Gehirns zu. Jedoch ist es nicht mehr als eine Vermutung.“

Nun ist er doch von der Präsidentschaftskandidatur zurückgetreten. Die Zweifel an Joe Bidens geistiger Verfassung, vor allem nach dem TV-Duell gegen Donald Trump Ende Juni, waren einfach zu groß. Wir haben einen Experten über Bidens Symptomatik und worauf diese hinweisen könnte, befragt.

Univ.-Doz. Dr. Udo Zifko ist Facharzt für Neurologie und Psychiatrie mit Zusatzfach Geriatrie in Wien. Er stellt eingangs klar, dass aufgrund der Beobachtungen bei den Auftritten des amerikanischen Präsidenten zwar ein Verdacht für eine Erkrankung besteht, aus Einzeleindrücken aber niemals eine Diagnose gestellt werden kann.

Viele Menschen in Österreich haben die Auftritte Bidens, darunter die TV-Debatte mit Donald Trump, zumindest ausschnittsweise gesehen. Er spricht sehr leise, verheddert sich in seinen Formulierungen oder beendet seine Sätze gleich gar nicht. Sind das Hinweise auf eine neurologische Erkrankung?
Prim. Univ. Doz. Dr. Udo Zifko:
Die Sprechstörung – leise und monotone Sprechweise – und die Sprachstörung – inkorrektes Formulieren von Wörtern sowie grammatikalisch inkorrekte Satzbildung – können Hinweise auf eine neurologische Störung sein. Dies umfasst mögliche vaskuläre Erkrankungen des Gehirns, also Durchblutungsstörungen. Zusätzlich möglich sind degenerative Erkrankungen des Gehirns, also Erkrankungen aus dem Formenkreis der Demenz sowie der Bewegungsstörungen, wie Morbus Parkinson und andere Parkinson Syndrome. Die beobachteten Sprech- und Sprachstörungen sowie der insgesamt teilweise etwas abwesende Eindruck bei der TV-Konfrontation können Symptome einer Demenz darstellen.

Welche Symptome treten bei den vaskulären Erkrankungen des Gehirns auf?
Doz. Zifko:
Bei den vaskulären Erkrankungen kann es bei einer altersbedingten Verengung der Gefäße und den dadurch verursachten Kreislauf- und Blutdruckproblemen zu vorübergehenden Episoden mit verschiedensten neurologischen Symptomen kommen. Zum Beispiel Halbseitensymptome (Anm.: wie die Schwäche einer Körperhälfte), heftige Schwindelattacken, aber auch die oben beschriebenen Sprech- und Sprachstörungen. Diese Episoden können zwischen wenigen Minuten bis einige Stunden dauern und sich dann selbstständig erholen.

Demenz wird im allgemeinen Sprachgebrauch meist mit Vergesslichkeit assoziiert. Was ist mit dem Begriff Demenz medizinisch gemeint?
Doz. Zifko:
Demenz ist ein Überbegriff für zahlreiche verschiedene Formen von Erkrankungen des Gehirns. Bei diesen führt der Zelluntergang (Anm.: Zelltod), neben den bekannten Gedächtnisproblemen, auch zu Sprachstörungen bis hin zum Sprachzerfall, Aufmerksamkeitsdefiziten, Problemen des planenden und logischen Denkens und anderen kognitiven Symptomen. Im Verlauf der Erkrankung kann es auch zu einer Wesensänderung kommen.

Welche Ursache könnte neben der Demenz noch zu Sprachstörungen führen?
Doz. Zifko:
Die leise und monotone Sprechweise kann ein Hinweis auf eine beginnende Morbus-Parkinson-Erkrankung sein. Bei dieser entwickeln sich, sehr langsam, aber kontinuierlich, zahlreiche motorische Probleme. Bewegungsabläufe und die Sprechmotorik sind betroffen. Darüber hinaus gibt es auch Erkrankungen, bei denen beide Symptomenkomplexe gemeinsam zeitnahe auftreten. Dies kann sowohl die Parkinson-Demenz sein als auch die Lewi-Körper-Demenz.

Worauf weisen Symptome wie Gangunsicherheit oder Desorientierung hin?
Doz. Zifko:
Desorientiertheit und vor allem Gangstörungen können nicht nur bei Erkrankungen des Gehirns (Anm.: Durchblutungsstörungen, Demenz oder Parkinson) auftreten. Auch zahlreiche andere Erkrankungen führen zu diesen Symptomen: wie Neuropathien (Anm.: eine Erkrankung der Nerven), Gelenksprobleme und Wirbelsäulenleiden. Es ist sogar deutlich wahrscheinlicher, dass hinter einer Gangstörung Nervenprobleme und Probleme des Bewegungsapparats stecken.

Wie wird die Diagnose gestellt?
Doz. Zifko:
Sowohl die Diagnose der Demenz als auch von Parkinson setzt sich aus verschiedenen Schritten zusammen. Wichtig ist hier zunächst die Außenanamnese. Das bedeutet: das Gespräch mit den nächsten Angehörigen. Die Veränderungen beginnen eben sehr langsam und schleichend und sind anfangs nicht ständig im gleichen Maße vorhanden. Danach folgt die klinisch neurologische Untersuchung: die Überprüfung der Reflexe, des Muskeltonus, der Bewegungsabläufe und vieler anderer Einzelfunktionen. Zudem wird eine neuropsychologische Testung vorgenommen. Die Ergebnisse der Tests sowie einer umfangreichen Laboruntersuchung erlauben eine zielgenaue Planung der weiteren Diagnostik. Meist ist der nächste Schritt eine Magnetresonanztomographie des Gehirns. Sie dient der Unterscheidung zwischen durchblutungsbedingten und degenerativen Ursachen der Demenz und auch zum Ausschluss komplett anderer Ursachen, die den noch so erfahrenen Untersucher zunächst an eine Demenz oder Parkinson denken lassen. In vielen Fällen sind weitere bildgebende Techniken, insbesondere die Gehirn-Szintigraphie, erforderlich. Hierbei kam es in den letzten Jahren zu sehr großen Fortschritten und somit zu deutlichen Verbesserungen in der Frühdiagnose.

Welche Hindernisse können auftreten?
Doz. Zifko
: Die Schwierigkeit der Diagnose liegt bei diesen Erkrankungen nicht in den medizinischen Möglichkeiten, sondern in der krankheitsbedingten verminderten Einsicht für die Probleme. Nahezu alle Patienten mit Demenz müssen von ihren Angehörigen zum Arzt gebracht werden. Die Betroffenen selbst bemerken die Problematik nicht und benötigen den entsprechenden Druck bzw. die Unterstützung der Angehörigen, um überhaupt zum Arzt zu gehen.

Nochmal zurück zu dem TV- Duell. Können diese Aussetzer und Versprecher Bidens, nicht auch einfach dem Alter, dem hohen Arbeitspensum und großen Druck, unter dem er steht, geschuldet sein?
Doz. Zifko:
Schlafmangel, Flüssigkeitsdefizite, Blutdruckschwankungen, allfällig erforderliche Medikamente wie bestimmte Schmerzmedikamente oder auch eine zu starke Blutdruckeinstellung und viele andere Ursachen können sowohl bei jüngeren, aber insbesondere bei älteren Patienten diese Defizite ebenfalls verursachen. All dies zeigt klar, dass nur aufgrund der Beobachtungen bei den Auftritten des amerikanischen Präsidenten zwar ein Verdacht für eine Erkrankung besteht, aber eine neurologische Störung niemals nur aus Einzeleindrücken gestellt werden kann.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Doz. Zifko:
Bei verschiedenen Demenz-Erkrankungen, wie der häufigen Demenz vom Alzheimer Typ gibt es zum jetzigen Zeitpunkt Medikamente, die den Verlauf verzögern. Eine Stagnation der Erkrankung kann ebenso wenig erzielt werden wie eine Heilung.

Und bei Morbus Parkinson?

Doz. Zifko: Der M. Parkinson kann durch Medikamente sehr gut eingestellt werden. Die Bewegungsstörungen, Sprechdefizite und zahlreiche andere körperliche Symptome können durch die richtige Therapie über Jahre hinaus gut behandelt werden. Es würde aufgrund einer Parkinson Erkrankung keine Einschränkung für die Ausübung einer noch so verantwortungsvollen beruflichen Funktion bestehen. Die in Einzelfällen bestehende Kombination von Parkinson und Demenz ist deutlich schwieriger medikamentös zu behandeln.

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