Scheidender US-Präsident hat zu spät losgelassen und dann noch Versprechen gebrochen
Joe Biden bereitet sich auf seinen Abschied aus dem Weißen Haus vor, der bitterer kaum sein könnte. Dass der Demokrat die Amtsgeschäfte am 20. Jänner ausgerechnet an seinen republikanischen Vorgänger Donald Trump übergeben muss, ist für den 82-Jährigen maximal schmerzlich. Ausgerechnet er, der Trump 2020 aus dem Präsidentenamt vertrieb, ebnete den Weg für dessen Rückkehr.
Sein Widersacher dürfte die zweite Amtszeit auch dafür nutzen, um Bidens politisches Vermächtnis zu zerlegen – oder das, was nach dessen unrühmlichem Abgang noch davon übrig ist.
Die politische Bilanz
Biden hätte als jener Präsident in die Geschichte eingehen können, der Trump nach einer Amtszeit ablöste und das Land stabilisierte, der die USA aus der Corona-Krise führte, die Wirtschaft wieder ankurbelte, der beispiellose Investitionen in Klimaschutz und Infrastruktur anstieß und insgesamt eine ziemlich progressive Agenda an den Tag legte.
Außenpolitisch reparierte Biden lädierte Beziehungen zu etlichen Verbündeten, kittete internationale Allianzen und versuchte intensiv, den Einfluss der USA im indopazifischen Raum auszubauen. Er ist aber auch für einen chaotischen Militärabzug aus Afghanistan verantwortlich und konnte nicht verhindern, dass während seiner Amtszeit zwei neue Kriege begannen: in der Ukraine und im Gazastreifen.
Biden koordinierte maßgeblich gewaltige internationale Unterstützung für Kiew im Abwehrkampf gegen Russland – Kritikern zufolge aber dennoch zu zögerlich. Der Ukraine zum Sieg zu verhelfen oder den Krieg auf andere Weise zu beenden, gelang ihm nicht. Auch das Blutvergießen im Nahen Osten konnte der mächtigste Mann der Welt nicht aufhalten.
Der Demokrat hinterlässt eine durchmischte Bilanz. In den verbleibenden Wochen kann er nicht mehr viel ausrichten. Und viele inhaltliche Erfolge wurden bereits zuvor über viele Monate der Präsidentschaft von seinem äußeren Zustand überschattet.
Die Sache mit dem Alter
Bidens Alter war von Anfang an ein Thema in seiner Amtszeit. Er zog als ältester US-Präsident aller Zeiten ins Weiße Haus ein. Peinliche Versprecher, Patzer, Aussetzer, Stolperer und Stürze nahmen über die Jahre kontinuierlich zu und bestimmten am Ende komplett die Berichterstattung über ihn. Dass es einer öffentlichen Rebellion seiner Partei bedurfte, um ihn zum Ausstieg aus dem Wahlkampf um eine zweite Amtszeit zu zwingen, machte das Ganze zu einem unwürdigen Schauspiel.
Nun geht Biden als einer in die Geschichte ein, der zum Schluss schwer strauchelte, trotzdem nicht loslassen wollte – und damit am Ende entscheidend zu Trumps Rückkehr ins Weiße Haus beitrug. In der Konsequenz bedeutet das auch, dass viele seiner Vorstöße und Projekte nicht überdauern werden. Vieles dürfte Trump zurückdrehen oder abwürgen, sobald er an der Macht ist.
Das eine Ziel
Biden widmete einen Großteil seines Lebens der Politik. Er war mehr als drei Jahrzehnte Senator und acht Jahre Vizepräsident. Erst im dritten Anlauf gelang ihm der Sprung in das höchste Amt. Vielleicht machte die Tatsache, dass es so schwierig war, dorthin zu kommen, das Loslassen schwerer. Der Demokrat selbst beteuerte, er habe sich nur aus Verantwortungsbewusstsein dazu entschieden, zur Wiederwahl anzutreten. Bis zuletzt behauptete er, es gebe im ganzen Land niemanden, der besser für den Job geeignet sei und Trump besiegen könne. Das stellte sich als vermessen heraus und hallt lange nach.
Die politische Schuld
Es ist Biden persönlich anzulasten, dass seine Partei keinen alternativen Kandidaten parat hatte und nach seinem Last-Minute-Ausstieg notgedrungen auf seine Vize Kamala Harris setzen musste, die nicht gegen Trump gewinnen konnte. 2020 war Biden als Kandidat des Übergangs angetreten – um Trump zu schlagen und dann an die nächste Generation weiterzugeben. Doch er gab die Macht nicht ab, klammerte sich an sein Amt und versäumte es, systematisch jemanden als Nachfolger aufzubauen. Das rächte sich.
Erst nach seinem Ausstieg aus dem Wahlkampf erinnerte sich Biden an seine Zusage von damals und bezeichnete sich im September in einem Interview selbst als “Übergangspräsidenten”. Zu seinem Rückzug sagte er da: “Ich bin mit meiner Entscheidung im Reinen.” Von Selbstkritik keine Spur.
Dabei muss sich ausgerechnet jener Mann, der öffentlich viel und gerne über Tugenden wie Verantwortungsbewusstsein, Anstand und politische Integrität referiert, den Vorwurf gefallen lassen, all das zum Ende hin bei sich selbst aus dem Blick verloren zu haben. Das zeigt sich auch an anderer Stelle.
Eine kontroverse Entscheidung zum Schluss
Kurz vor seinem Abschied aus dem Amt begnadigte Biden überraschend seinen Sohn Hunter, um dem 54-Jährigen in letzter Minute eine Strafe nach zwei Verurteilungen zu ersparen. Der Präsidentensohn war wegen Verstößen gegen das Waffen- und Steuerrecht schuldig gesprochen worden. Über Monate hatte Biden beteuert, er werde nicht in die Justiz eingreifen und seinen Sohn keinesfalls begnadigen. Das Versprechen brach er.
Biden verwies auf seine Rolle als Vater und sprach eine ungewöhnlich weitreichende Begnadigung für seinen Sohn aus. Die schützt Hunter Biden davor, jemals wegen möglicher Vergehen der vergangenen fast elf Jahre auf Bundesebene angeklagt zu werden. Die Begnadigung geht damit weit über die konkreten Vorwürfe hinaus, die bisher gegen ihn erhoben wurden. Das wirft zusätzliche Fragen auf, was Hunter Biden womöglich noch zu verbergen hat.
Biden brachte der Schritt zum Schluss seiner Präsidentschaft viel Kritik ein – und den Vorwurf der Heuchelei. Seine Argumentation, politische Gegner hätten die Justiz als Waffe gegen seinen Sohn und damit gegen ihn eingesetzt, erinnerte auch auffallend an Trumps Reaktionen auf jegliche Strafverfolgung gegen ihn. Die Begnadigung hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack.
Was nun, Joe Biden?
Nach einer jahrzehntelangen politischen Karriere und einem Finale in einem Hochtempo-Job auf der Weltbühne dürfte es Biden nicht leicht fallen, herunterzufahren. Der 82-Jährige sagte kürzlich in einem Interview, er wolle weiter politisch arbeiten – an zwei Hochschulen und in einer Stiftung. Vor allem aber ist Biden ein Familienmensch. Er hat sieben Enkel, zu denen er überwiegend ein enges Verhältnis hat. Seine älteste Enkelin lebte zeitweise bei ihm im Weißen Haus und erwartet ein Baby. Der scheidende Präsident wird damit bald zum ersten Mal Urgroßvater. Das dürfte zur Ablenkung beitragen.