Vom eher unbekannten Generalsekretär zum ÖVP-Chef und schließlich Bundeskanzler Österreichs – Christian Stocker hat, ähnlich der gesamten Republik, turbulente Monate hinter sich.

Doch scheint den 65-jährigen Rechtsanwalt auch sein raketenhafter Aufstieg kurz vor Erreichen des gesetzlichen Pensionsalters nicht aus der Ruhe zu bringen. Nur noch eine Formalie ist auch seine Wahl zum ÖVP-Obmann beim Parteitag am Samstag.

Damit darf Stocker das Wort „geschäftsführender“ vor dem Obmann streichen. Dass er überhaupt in diese Rolle gekommen ist, war doch eher ungewöhnlich, hat sich der Rechtsanwalt doch gar nicht so sehr um die Spitzenposition gerissen. Davon, dass er die ÖVP nur interimistisch übernehmen soll, war nach seiner Kür im Jänner aber nicht lange die Rede. Zwei Monate später wurde Stocker als Bundeskanzler angelobt.

Stabilität statt Eitelkeit

Wenn Stocker für etwas steht, dann für Stabilität. Wenngleich es nach einem bzw. drei Monaten zu früh ist, über seine Kanzler- und Obmannschaft zu urteilen, so lässt sich doch sagen, dass ihm diese Eigenschaft nicht abhanden gekommen ist. Bei öffentlichen Auftritten wirkt Stocker gelassen und um den Kompromiss bemüht, von der Angriffslust des Generalsekretärs ist nicht viel übrig. Eine ruhige Hand wird er als erster Chef einer Dreierkoalition wohl ebenso brauchen wie bei der Mammutaufgabe Budgetsanierung.

Ein Strahlemann, wie es etwa Sebastian Kurz (ÖVP) war, ist Stocker hingegen nicht, eher der klassische Mann im Hintergrund, dem persönliche Eitelkeit fremd scheint oder der sie sich zumindest nicht anmerken lässt. Sein größter Ehrgeiz soll gewesen sein, das Bürgermeister-Amt seiner Heimatstadt Wiener Neustadt einzunehmen. Als dieses dann der ÖVP tatsächlich zufiel, musste er als Stadtparteichef zur Seite treten und VP-Landtagsklubchef Klaus Schneeberger das Amt überlassen. Großes Murren darüber ist nicht überliefert.

Stockers Vater war Abgeordneter

Die Politik war Stocker in die Wiege gelegt. Schon sein Vater Franz Stocker, ein Christgewerkschafter, saß im Nationalrat, davor im Bundesrat. Stocker junior studierte Jus und baute sich eine Anwaltskanzlei auf, in der heute sein Sohn tätig ist. Auch die Tochter des VP-Chefs ist Juristin.

Nebenbei engagierte er sich in der Kommunalpolitik. 1990 zog er in den Wiener Neustädter Gemeinderat ein, später wurde er Klubobmann, Stadtrat und Erster Vizebürgermeister. Stocker wirkt zwar korrekt bis steif und ist nicht unbedingt für Späße bekannt, sucht aber durchaus die Volksnähe. Jahr für Jahr zieht er mit der Aktion „Fassl fürs Gassl“ durch seine Heimatstadt.

Erst seit 2019 im Nationalrat

In den Nationalrat schaffte es Stocker erst 2019. Drei Jahre später machte der damalige ÖVP-Chef Karl Nehammer ihn zum Generalsekretär, nachdem er sich quasi als Pflichtverteidiger der eigenen Partei im Untersuchungsausschuss bewährt hatte und man nach der auffälligen Laura Sachslehner wieder eine stabilere Positionierung in der Parteizentrale wünschte.

Stocker stand weiter seinen Mann, organisierte recht erfolgreiche Wahlkämpfe und vertrat unerschütterlich das damalige Partei-Mantra „Nicht mit Kickl“. Dass just er nach dem Scheitern der Dreier-Verhandlungen und dem Rückzug Nehammers plötzlich die Führung übernahm und mit der FPÖ unter Herbert Kickl zu verhandeln begann, brachte ihm einiges an Häme ein. Sogar daheim musste er sich erklären, wie Stocker in Interviews kundtat.

Vergebliche Verhandlungen mit der FPÖ

Letztlich hätte er sich die Runden mit den Freiheitlichen sparen können. Die von der Härte des FPÖ-Chefs überraschte ÖVP verlor recht rasch die Freude an der Vizekanzlerschaft und schielte wieder in Richtung Ballhausplatz. Stocker selbst sagten die Freiheitlichen kein böses Wort nach. Selbst war er ohnehin zu kurz im Amt, als dass er im Alleingang in der Partei etwas bestimmen hätte können. Nun ergriff er eben die zweite Chance und verhandelte sich recht flott mit SPÖ und NEOS in eine gemeinsame Koalition.

Sollte man in der ÖVP dereinst auf die Idee kommen, dass man jetzt einmal jemand Jüngeren für die nächste Wahl positionieren müsse, wird Stocker mit Sicherheit nicht auf seinem Sessel kleben bleiben. Zu tun hätte er auch abseits der Politik genug. Neben der Tätigkeit in seiner Kanzlei frönt er Hobbys wie Golf, Fliegenfischen und Musizieren mit dem Tenorsaxofon.

Zur Person: Christian Stocker, geboren am 20. März 1960 in Wiener Neustadt, Volksschule und Gymnasium ebenda, Jus-Studium in Wien, Anwaltskanzlei in der Heimatstadt. Ab 2000 Stadtparteiobmann und Vizebürgermeister in Wiener Neustadt, seit 2019 Abgeordneter zum Nationalrat. Ab Herbst 2022 Generalsekretär der ÖVP. Seit Jänner geschäftsführender Bundesparteiobmann der Volkspartei, seit März Bundeskanzler.

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