Die Besetzung von wichtigen Ämtern sorgt für Kritik.
Nach ihrem überraschenden Sieg über den bisherigen syrischen Präsidenten Bashar al-Assad bemühen sich die neuen Machthaber in Damaskus um einen raschen Wiederaufbau der staatlichen Institutionen. Dabei betonte die Rebellengruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS), die Rechte sämtlicher Volksgruppen und Religionen respektieren zu wollen. An die Schaltstellen der Macht setzte HTS-Chef Ahmed al-Sharaa, bekannt als Abu Mohammed al-Golani, bisher allerdings ausschließlich Vertraute.
So führt etwa Mohammed al-Bashir, der bisher die HTS-Hochburg Idlib regierte, die Übergangsregierung als Regierungschef. Sakaria Malahifji, Generalsekretär der Syrischen Nationalen Bewegung und einst Berater von Rebellen in Aleppo, bezeichnete es als Fehler, andere Gruppen nicht in den Wiederaufbau des Staates einzubinden. “Die syrische Gesellschaft ist in Bezug auf Kulturen und Volksgruppen sehr vielfältig, daher ist dies offen gesagt besorgniserregend.”
Ähnlich äußerten sich ausländische Repräsentanten in Damaskus, mit denen bisher lediglich HTS-Vertreter Kontakt aufgenommen hätten. “Wo sind die anderen Köpfe der politischen Opposition?”, fragte ein Diplomat. “Es wäre ein starkes Signal, sie dabei zu haben, aber sie sind nicht hier.” Ein anderer warnte, dass die mangelnde Einbindung anderer, meist bewaffneter Gruppen Syrien in Zukunft destabilisieren könnte.
Machtübernahme nach bekanntem Muster
Joshua Landis, Leiter des Zentrums für Nahoststudien an der Universität von Oklahoma, betonte, dass HTS-Chef Sharaa seine Autorität schnell festigen müsse, um ein Abgleiten ins Chaos zu verhindern. “Aber er muss auch versuchen, seine Verwaltungskapazitäten auszubauen, indem er Technokraten und Vertreter der verschiedenen Gemeinschaften einbezieht.”
Auch Yezid Sayigh, Syrien-Experte der Denkfabrik Carnegie Middle East Center, bezeichnete das rasche Vorgehen der neuen Machthaber als notwendig. Jede Gruppe, die in einem ausgelaugten Staat die Macht eines kollabierten Regimes übernimmt, würde ähnlich verfahren. Die Eile berge aber auch Risiken: “Eine davon ist die Etablierung einer neuen Form der autoritären Herrschaft, diesmal im islamischen Gewand.”
“Wir haben kein Problem mit irgendeiner Religion”
Mohammed Ghasal, ein zum Gouverneur von Damaskus ernannter Bauingenieur, versuchte die Sorge vor dem Aufbau eines islamistischen Regimes zu zerstreuen. “Wir haben kein Problem mit irgendeiner Ethnie oder Religion. Derjenige, der es zu einem Problem gemacht hat, war Assad.” Seine Aufgabe sei es, zivile Institutionen aufzubauen und die Grundversorgung sicherzustellen. Daher habe er Staatsbediensteten Zusicherungen gegeben und sie aufgefordert, zur Arbeit zurückzukehren.
In der Übergangsregierung werden einem HTS-Insider zufolge sämtliche syrischen Fraktionen repräsentiert sein. Sie sollen in den kommenden drei Monaten unter anderem festlegen, ob das Land künftig eine parlamentarische oder präsidiale Regierung haben wird. Auf die Frage, ob die neue Verfassung islamisch sein werde, antwortete Ministerpräsident Bashir in einem am Mittwoch veröffentlichten Zeitungsinterview, dass “diese Details” im verfassungsgebenden Prozess geklärt würden. Außerdem bekräftigte er seine Ankündigung, lediglich bis März 2025 im Amt bleiben zu wollen.
Vor etwa zwei Wochen hatte die HTS von der Region Idlib aus eine Offensive gestartet, bei der sie nur auf geringen Widerstand von Regierungstruppen stieß. Binnen weniger Tage eroberte die Rebellengruppe, die früher als Nusra-Front bekannt war und Verbindungen zu Al-Kaida hatte, mehrere Großstädte, darunter Aleppo und Damaskus. Präsident Assad floh nach 24 Jahren an der Macht und suchte Schutz bei seinem Verbündeten Russland. Die HTS wird von vielen Ländern, darunter den USA, als Terrororganisation eingestuft.