Niemand zeigt die Zerrissenheit der Union besser als der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer. 

„Viele wollen, dass die Verhandlungen zum Ende kommen“, sagte der CDU-Politiker am Mittwoch vor einer weiteren Runde der Koalitionsgespräche in Deutschland mit Blick auf die Stimmung in seiner Partei. Viele erwarteten aber auch gute Lösungen. „Es braucht diese Zeit, es braucht diese Intensität“, fügte Kretschmer zu den Gesprächen mit der SPD hinzu.

Der Grund für die auf den ersten Blick widersprüchlichen Äußerungen Kretschmers: Es rumort in der wahrscheinlichen Kanzlerpartei CDU, und die Union befindet sich in einem Zielkonflikt. „Solange es keinen Abschluss der Koalitionsgespräche gibt, prasseln jeden Tag Negativkommentare auf uns ein“, sagt ein CDU-Politiker. Gleichzeitig gibt es nach der für viele Unionsanhänger überraschenden Wende in der Schuldenpolitik die Forderung, nun besonders hart mit der SPD über eine Wende in der Migrations-, Wirtschafts- und Sozialpolitik zu verhandeln.

Jetzt müsse „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ gehen, hatte auch CDU-Chef Friedrich Merz mit Blick auf die Verhandlungen betont. Von dem einst anvisierten Tag der Kanzlerwahl am 23. April will in der Union niemand mehr etwas wissen.

Der fast geschlossene Austritt des CDU-Stadtverbands Kühlungsborn in Mecklenburg ist das sichtbarste Zeichen, dass es an der Basis gärt. Auch in anderen Teilen Deutschlands werden zumindest vereinzelte Parteiaustritte gemeldet. „Unmut an der Basis ist definitiv spürbar“, bestätigt Georg Günther, neuer CDU-Bundestagsabgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern. „Jetzt warten alle darauf, dass es in den Verhandlungen mit der SPD auf jeden Fall eine spürbare Politikveränderung beim Thema Migration geben muss.“ Für zusätzliche Nervosität sorgt eine Forsa-Umfrage, nach der die Union auf 25 Prozent Zustimmung kommt – und damit noch einen Prozentpunkt vor der AfD liegt, die man zurückdrängen will.

Die zwei Probleme der Union

Ein Problem für CDU und CSU bleibt: Der Unmut an der Basis ändert nichts daran, dass die Union von der SPD als einzigem möglichen Koalitionspartner abhängig ist. Deshalb fruchten die Appelle nicht wirklich, die SPD möge sich daran erinnern, dass sie nur 16,4 Prozent in der Bundestagswahl erreicht habe und damit deutlich weniger als die Union. SPD-Co-Chef Lars Klingbeil hatte schon zu Beginn der heißen Phase der Koalitionsgespräche kühl betont, dass alle Projekte einer schwarz-roten Regierung auch solide finanziert sein müssten. Das zielt vor allem auf die Wünsche der Union nach Steuersenkungen für Unternehmen und Arbeitnehmer, die das derzeitige Loch im Bundeshaushalt 2025 ohne Gegenfinanzierung weiter vergrößern würden – zumal die SPD die Annahme der Union über mögliche Einsparungen im Haushalt für völlig überzogen hält.

Das zweite Problem: CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hatte mit Blick auf internationale und wirtschaftliche Krisen ursprünglich gemahnt, dass man diesmal anders verhandeln müsse – mit dem Ziel eines schlanken Koalitionsvertrages, der sich auf die Lösung der großen Probleme konzentrieren sollte. Doch weil Merz im Wahlkampf damit drohte, in einer Koalition mit seiner Richtlinienkompetenz als Kanzler strittige Fragen selbst durchsetzen zu wollen, besteht die SPD nun auf einem möglichst genauen Vertrag, als Sicherheit.

Das führte dazu, dass in der vergangenen Woche doch wieder 16 Arbeitsgruppen aus Fachleuten von CDU, CSU und SPD verhandelten und ein Konvolut an Vorschlägen präsentierten. Merz selbst kritisierte, dass einige Arbeitsgruppen ein teures „Wünsch dir was“ abgeliefert hätten. Die Folge: In den Medien hagelte es – befeuert durch AfD, Grüne und Linke – Kritik, dass Union und SPD sich in Kleinigkeiten verzettelten.

Jetzt versucht die Spitzengruppe hinter verschlossenen Türen, die Arbeitsgruppenergebnisse beiseite zu legen und die versprochene große Linie zu verabreden. Allerdings dürfte diese erst sichtbar werden, wenn die Verhandlungen abgeschlossen sind. Und das könnte laut SPD-Co-Chefin Saskia Esken noch bis in die kommende Woche dauern – was die Gemüter in der Union nicht besänftigen dürfte.

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