In Syrien ist Präsident Bashar al-Assad gestürzt worden. Der Präsident verließ die Hauptstadt Damaskus am Sonntag nach einer Blitzoffensive islamistischer Rebellen mit unbekanntem Ziel.
Die staatliche Armee erklärte die Regierungszeit Assads für beendet. Das Armeekommando habe die Regierungssoldaten außer Dienst gestellt. Regierungschef Mohamed al-Jalali erklärte seine Bereitschaft für eine umgehende Machtübergabe. Die Rebellen bekundeten, diese friedlich abwickeln zu wollen.
Die Aufständischen waren am Sonntag in Damaskus einmarschiert. Sie erklärten die Hauptstadt für “frei von Assad”. Auf Social Media hieß es: “Der Tyrann ist geflohen. Wir verkünden, dass die Hauptstadt Damaskus (von ihm) befreit wurde.” Sie seien in die Hauptstadt eingedrungen, ohne dass Truppenbewegungen der Armee zu erkennen waren, wurden betont. Zeugenberichten zufolge versammelten sich tausende Menschen auf einem Hauptplatz in Damaskus, schwenkten Fahnen und riefen “Freiheit”.
Regierungschef Jalali blieb nach der Flucht des 59-jährigen Machthabers Assad eigener Darstellung zufolge im Land und will bei einem Machtwechsel kooperieren. “Wir sind bereit, (die Macht) an die gewählte Führung zu übergeben”, sagte Al-Jalali in einer Videobotschaft, die er laut eigener Aussage in seinem Zuhause aufzeichnete. Über diese Führung müsse das Volk entscheiden. “Wir sind bereit, sogar mit der Opposition zusammenzuarbeiten.”
Die Bürger rief er bei den laufenden Entwicklungen auf, zu kooperieren und kein öffentliches Eigentum zu beschädigen. Syrien könne ein “normaler Staat” sein mit freundschaftlichen Beziehungen mit seinen Nachbarn. Er selbst habe kein Interesse an irgendeinem politischen Amt oder anderen Privilegien. “Wir glauben, dass Syrien allen Syrern gehört.” Jalali war zuvor Minister für Kommunikation und erst seit wenigen Monaten Ministerpräsident in der Assad-Regierung. Unter anderem wurde er von der Europäischen Union mit Sanktionen belegt wegen seiner Beteiligung an der gewaltsamen Unterdrückung der Bevölkerung in Syrien.
Aufständische wollen friedliche Übergabe der Macht
Das Rebellenbündnis in Syrien will nach Worten des Anführers Abu Mohammed al-Julani die Macht friedlich übernehmen. Öffentliche Einrichtungen in Damaskus “werden bis zur offiziellen Übergabe unter Aufsicht des früheren Ministerpräsidenten bleiben”, teilte Julani in sozialen Medien mit. Militärischen Kräften sei es strikt verboten, sich diesen Einrichtungen zu nähern, auch Schüsse dürften nicht abgegeben werden.
Die Nachricht in sozialen Medien veröffentlichte Julani erneut mit seinem bürgerlichen Namen Ahmed al-Sharaa. Es ist ein weiteres Zeichen dafür, dass der Rebellenanführer seinen Kampfnamen Julani ablegen und sich – wohl auch mit Blick auf eine mögliche zukünftige Rolle in Syrien – ziviler geben will. In den vergangenen Tagen war er erstmals öffentlich in den Kanälen der Islamistengruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS) mit seinem Klarnamen statt mit seinem Kampfnamen aufgetreten.
Der Führer der größten syrischen Oppositionsgruppe im Ausland, Hadi al-Bahra, kündigte an, dass man sich mit arabischen und europäischen Ländern sowie den Vereinten Nationen treffen wolle, um die nächsten Schritte für das Land zu vereinbaren. Dies sagte er dem Fernsehsender Al Jazeera,
Rebellen: Ende einer “dunklen Ära”
“Dies ist der Moment, auf den die Vertriebenen und die Häftlinge lang gewartet haben, der Moment der Heimkehr und der Moment von Freiheit nach Jahrzehnten der Unterdrückung und des Leids”, hieß es seitens der Rebellen. Gerichtet an die Millionen Flüchtlinge, die durch den Bürgerkrieg vertrieben wurden, erklärten die Aufständischen: “An die Vertriebenen weltweit, ein freies Syrien erwartet euch.”Der 8. Dezember markiere “das Ende dieser dunklen Ära” der Unterdrückung unter Assad und seinem Vater Hafis al-Assad, die das Land mehr als 50 Jahren regierten. Es sei nun “der Beginn einer neuen Ära für Syrien” gekommen, so die islamistischen Kämpfer im Onlinedienst Telegram.
Jubel in Damaskus
In Damaskus brach laut Augenzeugen Jubel aus.. Anrainer applaudierten auf der Straße, als die Flucht Assads verkündet wurde, einige waren beim Gebet zu beobachten. In sozialen Netzwerken machten Videos von Bewohnern die Runde, die auf einen Panzer klettern und feierliche Gesänge anstimmen. Einige tanzten demnach, andere riefen Gott segne das neue Syrien. Laut Augenzeugen waren Freudenschüsse zu hören. Auch in der Metropole Istanbul in der benachbarten Türkei, wo mehr als drei Millionen Syrer leben, gab es Videos zufolge in der Nacht Jubel und Gesänge. Einige zündeten dort Feuerwerk.
Die Aufständischen hatten ihre Offensive auf Damaskus in der Nacht auf Sonntag gestartet. Ein dpa-Korrespondent vor Ort berichtete von lauten Explosionen und schwerem Maschinengewehrfeuer. Soldaten der Präsidentengarde verließen Augenzeugenberichten zufolge die Hauptstadt.
Zuvor hatten verschiedene Medien bereits berichtet, dass syrische Soldaten in Scharen das Land verlassen. Der Irak habe mehr als 1000 Soldaten aus dem Nachbarland aufgenommen, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur INA. Der katarische Nachrichtensender Al Jazeera zitierte einen Sprecher der irakischen Regierung, wonach sogar bereits 2000 syrische Soldaten mit voller Ausrüstung in den Irak gekommen seien.
Die islamistische Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) vermeldete in Folge im Onlinedienst Telegram den Einmarsch in Damaskus. In einer Erklärung gaben die Rebellen bekannt: “Wir feiern mit dem syrischen Volk die Nachricht von der Befreiung unserer Gefangenen, dem Lösen ihrer Ketten und dem Ende der Ära der Ungerechtigkeit im Gefängnis Sednaya.” Das berüchtigte Militärgefängnis am Stadtrand von Damaskus gilt als Symbol der Unterdrückung unter Präsident Assad. Einwohner von Damaskus schilderten der Nachrichtenagentur AFP, sie hätten Schüsse in der Stadt gehört.
Homs-Einnahme gilt als Wendepunkt
Am Samstag hatten die Rebellen nach eigenen Angaben die strategisch wichtige Millionenstadt Homs eingenommen. Dies galt als entscheidender Wendepunkt: Mit der Eroberung von Homs stand den Islamisten der Weg von Norden aus in die rund 160 Kilometer entfernte Hauptstadt frei. Die drittgrößte Stadt Syriens befindet sich zwischen Aleppo im Norden und Damaskus im Süden. Zudem liegt sie an einer strategisch wichtigen Position zwischen den Hochburgen der Regierung von Assad an der Küste und Damaskus. An der Küste liegen mit Latakia und Tartus auch die Hochburgen der Regierungstruppen. Bei Tartus befindet sich zudem eine Basis der syrischen Marine, die auch einen Stützpunkt der russischen Armee beherbergt. Russland ist neben dem Iran engster staatlicher Verbündeter Assads.
Hisbollah zog Kämpfer aus Homs und Außenbezirken von Damaskus ab
Auch die mit der syrischen Regierung verbündete libanesische Hisbollah zog nach Angaben aus dem Umfeld der Miliz ihre Kämpfer aus Homs und den Außenbezirken der Hauptstadt Damaskus ab. Einige von ihnen sollten nach Latakia in Syrien gehen, andere in die Region Hermel im Libanon. Kämpfer der Hisbollah hätten auch ihre Stellungen um Damaskus geräumt.
Der Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (Syrian Observatory for Human Rights/SOHR), Rami Abdel-Rahman, hatte bereits am Samstag erklärt, er halte den Sturz der Regierung nur noch für eine Frage der Zeit. Die SOHR ist in Großbritannien ansässig und stützt sich auf ein Informantennetzwerk in Syrien. Ihre Angaben sind schwer überprüfbar.
Bürgerkrieg war Ende November wieder aufgeflammt
Am 27. November war der Bürgerkrieg in Syrien mit der Offensive der Islamisten-Allianz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) plötzlich wieder aufgeflammt. Innerhalb kurzer Zeit übernahmen die Aufständischen die Kontrolle über viele Orte, darunter Aleppo und Hama, weitgehend kampflos. Das Bündnis strebt den Sturz der syrischen Regierung an.
Der Bürgerkrieg in Syrien hatte 2011 mit Protesten gegen die Regierung begonnen. Die Gewaltspirale mündete in einen Bürgerkrieg mit internationaler Beteiligung, in dem Russland, der Iran, die Türkei und die USA eigene Interessen verfolgen. Rund 14 Millionen Menschen wurden vertrieben. Nach UN-Schätzungen kamen bisher mehr als 300.000 Zivilisten ums Leben. Eine politische Lösung zeichnete sich bis zuletzt nicht ab.
Assad hatte vor mehr als zwei Jahrzehnten im Alter von 34 Jahren die Macht in Syrien übernommen, nachdem sein Vater Hafis al-Assad, der das Land jahrzehntelang autoritär regiert hatte, gestorben war. Zunächst weckte Assad, der in England studiert hatte, Hoffnungen auf einen neuen Kurs. Doch die anfängliche Euphorie des sogenannten “Damaszener Frühlings”, der kurze Zeit offenere Diskussionen erlaubte, wich bald der Rückkehr autoritärer Repression.
Biden: Die außergewöhnlichen Ereignisse werden genau beobachtet
Das Weiße Haus teilte mit, US-Präsident Joe Biden und sein Team beobachteten die außergewöhnlichen Ereignisse in Syrien genau und stünden in ständigem Kontakt mit den regionalen Partnern. Zuvor hatte der designierte US-Präsident Donald Trump klargemacht, er wolle nicht, dass sich die USA in irgendeiner Form in die Krise in Syrien einmischen.