Die internationalen Zeitungen kommentieren am Freitag, einen Tag nach der Präsentation des Regierungsprogramms, die künftige österreichische Bundesregierung aus ÖVP, SPÖ und NEOS:
“tageszeitung” (Berlin):
“Nach monatelanger Blockade ist Österreich nun ein Positivbeispiel dafür, dass sich Dialog und Kompromissbereitschaft bis zum Schluss lohnen. Leicht wird es nicht, denn die drei Parteien liegen inhaltlich weit auseinander. Sie bekennen sich jedoch zur Demokratie und ihren Institutionen, auch zum traditionell starken österreichischen Sozialstaat. Durch inhaltliche Zugeständnisse, auch mangels Alternativen, fanden sie doch noch zueinander.
Nun gilt es, den Hickhack und Stillstand früherer großer Koalitionen zu vermeiden. Das Hinzuziehen der liberalen Partei NEOS als dritte Kraft könnte dabei helfen. Sie ist die jüngste Partei im Parlament und fordert glaubhaft ambitionierte Reformen ein. Zu hoffen bleibt nun, dass der neuen Dreierkoalition ein Schicksal wie das der deutschen Ampel erspart bleibt. Gewiss ist das keineswegs. Fürs Erste ist die Gefahr einer ultrarechten FPÖ-Regierung aber abgewehrt.”
“Frankfurter Allgemeine Zeitung”:
“Wenn der politische Wille da ist, kann es plötzlich schnell gehen. Das haben Volkspartei, SPÖ und liberale NEOS in Österreich gezeigt. Nach quälenden Monaten des Gezerres, einem Verhandlungsabbruch und dem zwischenzeitlichen Versuch der ÖVP, mit dem radikalen FPÖ-Chef Herbert Kickl eine Regierung zu bilden, konnten sich die drei nun in kürzester Zeit auf eine Koalition einigen.
Natürlich muss sich noch zeigen, wie weit die plötzliche Harmonie trägt. Jede Regierungskoalition lebt auch davon, dass die Beteiligten miteinander können und kommende Probleme, die auch das detaillierteste Vertragswerk nicht voraussehen kann, gemeinsam lösen. Doch die Spitzen von ÖVP, SPÖ und NEOS haben erkennen lassen, dass sie das Grundprinzip jeder gedeihlichen Zusammenarbeit zumindest in der Theorie verstanden haben: dass sich die Partner, auch wenn sie weiterhin politische Konkurrenten sind, gegenseitig Raum für ihre Kernprojekte geben müssen, anstatt jeden Unterpunkt in Kompromissen zu zermahlen, sodass am Ende nur eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners übrig bleibt.”
“Süddeutsche Zeitung” (München):
“Österreichische Verhältnisse. Das Schlagwort hat man rund um die deutsche Bundestagswahl häufig gehört. Gemeint waren damit nicht gutes Essen oder hohe Lebensqualität, sondern das Szenario, dass nach einem Wahlerfolg der extremen Rechten die Parteien der Mitte plötzlich keinen Spielraum mehr haben. Und gezwungen sind, unkonventionelle Bündnisse einzugehen. (…)
(Das Regierungsprogramm) ist ein eklektizistisches Gesamtkunstwerk aus konservativer Migrationspolitik, sozialdemokratischen Steckenpferden wie einer Bankensteuer und liberalen Forderungen nach einem schlanken Staat. Was sich davon verwirklichen lässt, hängt vor allem am Geld, und an dem mangelt es in Österreich wie überall. Fest steht aber, was der ÖVP-Vorsitzende Christian Stocker gesagt hat: Österreich ist ein Land, in dem Konsens und Ausgleich der Interessen großgeschrieben werden – was es diesmal doch noch möglich gemacht hat, über die Parteigrenzen hinweg einen Kompromiss zu finden. Vielleicht sind es ja die ‘österreichischen Tugenden’, die von jetzt an Schlagzeilen machen.”
“Neue Zürcher Zeitung”:
“Welchen Anteil Stocker daran hatte, dass Österreich der selbsternannte ‘Volkskanzler’ erspart bleibt, ist unklar. Am Ende schienen es beide Parteien auf einen Abbruch anzulegen. In den Tagen zuvor rumorte es in der ÖVP, und als Partei-Urgestein wusste (ÖVP-Chef Christian) Stocker, was er den Konservativen zumuten kann und was nicht. Dass er dabei primär den eigenen Weg ins Kanzleramt im Blick hatte, ist nicht anzunehmen. Dafür ist Stocker zu uneitel.
(…) Stocker bezeichnete Kickl nach dem Ende des gemeinsamen Versuchs wieder als Gefahr für Österreichs Sicherheit. Man kann ihm fehlendes Rückgrat vorwerfen und Opportunismus zum Erhalt der Macht. Oder man sieht in Stocker einen loyalen Diener seiner Partei, der stets das tut, was diese will oder er für das Beste für sie hält. Als Anwalt ist er gewohnt, für die jeweilige Position dann zu argumentieren, und das tut er schlüssig und fundiert.
Stocker ist deshalb ein Handwerker der Macht, die Strahlkraft eines (Ex-Kanzlers) Sebastian Kurz geht ihm völlig ab. Aber er ist im Gegensatz zu diesem auch kein Blender.”
“New York Times”:
Die neue Regierung wird auf dünnem Eis starten. Die Freiheitliche Partei hatte seit letztem Herbst nur an Popularität gewonnen und wird nun von einem Drittel der Bevölkerung unterstützt. Umfragen zeigen, dass die Österreicher nach wie vor frustriert sind über eine Wirtschaft, die die letzten zwei Jahre in der Rezession verbracht hat, und besorgt über die Einwanderung ins Land, insbesondere aus überwiegend muslimischen Ländern. Die Freiheitliche Partei machte beides zu einem zentralen Thema in ihrem letzten Wahlkampf und versprach umfangreiche Abschiebungen und ein Verbot politischer Formen des Islam.
In Anspielung auf diese Themen kündigte die neue Regierung eine härtere Gangart bei der Zuwanderung an, indem sie Asylbewerbern den Familiennachzug verwehrt und Kopftücher für Mädchen verbietet.”
“Le Monde” (Paris):
“In Österreich ist es zur Bildung einer fragilen Anti-Rechtsextremismus-Koalition gekommen. (…) Bei der Vorstellung des über 200 Seiten starken Koalitionsprogramms im Parlament verteidigte Stocker die ‘Kompromissbereitschaft’ der ‘konstruktiven Kräfte’, da das Land mit seinen neun Millionen Einwohnern die erste Dreierkoalition seiner Geschichte unter Schmerzen geboren hat. Auch wenn sich die Vorsitzenden der drei Parteien dagegen wehrten, ist das Ziel ihrer Koalition in erster Linie, den Einzug der extremen Rechten in die Regierung (…) zu verhindern.”
“Libération” (Paris):
“Letztendlich wird Österreich keinen ‘Volkskanzler’ haben, ein Begriff, der aus Hitlers Vokabular entlehnt wurde und auf Herbert Kickl, den Anführer der rechtsextremen Partei, die an der Bildung einer Koalition gescheitert ist, angewandt wird. In den letzten acht Wochen ist das Land von der fast sicheren Aussicht auf eine rechtsextreme Regierung zur Bildung einer zentristischen und pro-europäischen Regierung übergegangen. Die konservative Rechte, die sozialdemokratische Linke und die Liberalen der kleinen Partei NEOS haben am Donnerstag, den 27. Februar, ein gemeinsames Programm vorgelegt. Ihre Regierung wird von einem 64-jährigen Rechtsanwalt, dem Konservativen Christian Stocker, angeführt werden.”
“La Vanguardia” (Barcelona):
“Österreich hat es geschafft, eine von der extremen Rechten dominierte Regierung zu vermeiden. In den kommenden Tagen wird eine Dreierkoalition unter der Führung der konservativen Partei zusammen mit Sozialdemokraten und Liberalen gebildet. Die Nachricht bringt Hoffnung für Europa, wo derzeit ein pessimistisches Panorama herrscht, das unter anderem durch den Aufstieg der ultrarechten Parteien, den Zerfall der nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Weltordnung und das Misstrauen gegenüber der politischen Wende, die (Präsident) Donald Trump in den USA vorantreibt, geprägt ist. (…)
Man kann feststellen: Das Wachstum extremistischer Kräfte bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie automatisch an die Macht kommen. Die Brandmauer hat in Österreich funktioniert. (…) Die Aufgabe der künftigen Regierung ist jedoch heikel und komplex. (…) Es wird keine Hundert-Tage-Schonfrist geben. Problematisch werden vor allem die angestrebte Senkung des Staatsdefizits und die damit verbundenen Ausgabenkürzungen, zumal gleichzeitig das Ziel verfolgt wird, die Militärausgaben auf zwei Prozent (des Bruttoinlandsprodukts) zu erhöhen. (…) Die Koalition in Österreich wird nur dann verhindern können, dass die extreme Rechte der FPÖ bei den nächsten Wahlen weiter wächst, wenn es ihr gelingt, erfolgreich zu regieren.”
“La Stampa” (Turin):
“Die Mehrheit im Parlament ist für die drei Koalitionsparteien in Wien solide, aber die ideologische Distanz unter ihnen ist groß. Außerdem ist die SPÖ intern gespalten, sodass jemand schon über eine Koalition aus vier und nicht aus drei Parteien witzelt. Viele betrachten die Dreierkoalition als temporäre Lösung in Hinblick auf eine Rückkehr des Ex-Kanzlers Sebastian Kurz (ÖVP).”
“Corriere della Sera” (Mailand):
“Der fragile Damm gegen die Ultrarechte in Österreich steht. Eine Dreierregierung gab es nicht mehr seit der Nachkriegszeit. Die Große Koalition in Wien besteht aus Parteien, die heute hinkend sind und deren Hauptaufgabe es ist, Herbert Kickl von der Regierung auszuschließen, obwohl er von 29 Prozent der Österreicher gewählt worden ist.”
“Il Sole 24 Ore” (Mailand):
“Der Handlungsspielraum für die Koalitionsparteien in Wien ist nicht groß, denn das Land hat zwei Jahre eines BIP-Rückgangs hinter sich. Belastet ist Österreich von der historischen Abhängigkeit von russischem Gas und vom Niedergang eines privilegierten Partners wie Deutschland. Für die neue Regierung wird es nicht einfach werden, sie hat eine schwierige Aufgabe vor sich.”
“Il Fatto quotidiano” (Rom):
“Österreich versucht, die längste politische Krise seit der Nachkriegszeit zu überwinden. Die Aufgabe ist nicht einfach. Eine der wichtigsten Neuigkeiten im Regierungsprogramm betrifft die Asylpolitik mit strengeren Maßnahmen wie die vorübergehende Aussetzung von Familienzusammenführungen und das Verbot der Verschleierung von Minderjährigen.”
“Politico” (Brüssel):
“Die Migrationspolitik der Koalition spiegelt eine Abkehr von dem Versuch der FPÖ wider, in früheren Koalitionsgesprächen eine harte Linie durchzusetzen, in denen sie eine drastische Reduzierung der Asylanträge, ein Ende der automatischen Staatsbürgerschaft für Einwanderer der zweiten Generation und erweiterte Grenzkontrollen gefordert hatte. Stattdessen will die neue Regierung strenge Abschiebeverfahren beibehalten und gleichzeitig die Integrationsprogramme ausweiten.
Dies ist ein bemerkenswerter Bruch mit der jüngsten Rhetorik der ÖVP. Während ihrer kurzlebigen Verhandlungen mit der FPÖ hatten die Konservativen Offenheit für härtere Migrationsbeschränkungen signalisiert, einschließlich eines strengeren Zugangs zu Sozialleistungen für Asylbewerber. Dieser Schwenk wurde nun zugunsten eines Kompromissansatzes aufgegeben, der Sicherheit und Integration miteinander verbindet.”
“Kölner Stadt-Anzeiger”:
“Die bittersüße Analogie zur Regierungsbildung liegt nahe: ÖVP, SPÖ und NEOS lassen nach der Einigung auf ein Dreierbündnis, die ‘Zuckerl-Koalition’, für den Augenblick noch einmal die Sonne aufgehen über Österreich.
Die dunkle Wolke FPÖ aber droht weiter am Himmel. Konservative, Sozialdemokraten und liberale NEOS haben nun bestenfalls viereinhalb Jahre Zeit, um das Vertrauen in das politische System wiederherzustellen. Die Hypothek des vorherigen Scheiterns einer Regierungsbildung an mangelnder Kompromissfähigkeit zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS wiegt schwer. Die folgende Hinwendung der ÖVP zur FPÖ löste in Europa Erschütterung aus.
Die nun im dritten Anlauf geschmiedete Koalition hat der Demokratie etwas Zeit verschafft. Doch die Aufgaben sind gigantisch: steigende Mieten, schwache Wirtschaftsdaten, das Haushaltsdefizit – innere und äußere Krisen zerren am jungen Bündnis, noch bevor der Koalitionsvertrag final abgesegnet ist.”
“Neue Ruhr Zeitung” (Essen):
“Es ist beschämend, wenn die neuen Koalitionäre nun behaupten, dass ihre Einigung nur zustande gekommen sei, weil die Weltlage sich verändert habe und Österreich eine stabile Regierung benötige. All das war auch vor Monaten schon so. Bei uns in Deutschland ist das genauso. ‘Integration vom ersten Tag an’, lautet ein Schlagwort der wohl künftigen österreichischen Regierung, einen Familiennachzug soll es nicht mehr geben, und für junge Mädchen ist ein Kopftuchverbot geplant. Man will also den Hartrechten die Stirn bieten, indem man ihre Forderungen aufnimmt. Man darf gespannt sein, ob und wie das alles umgesetzt wird.”
“Cannstatter Zeitung”:
“Nach der Wahl waren die ersten Verhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS gescheitert, anschließend versuchten die Konservativen, mit der rechtspopulistischen FPÖ eine Regierung zu bilden. Anders als in Deutschland hatte es zwar schon Koalitionen zwischen den beiden Parteien gegeben. Doch dieses Mal hätte die FPÖ als stärkere Partei mit dem Rechtsextremisten Herbert Kickl den Kanzler gestellt. Letztlich platzten diese Gespräche – und so landeten ÖVP, SPÖ und Neos nun doch in einer Regierung.
Fünf Monate hat das alles gedauert. Aber erst jetzt waren alle Parteien ehrlich kompromissbereit. Wären sie das eher gewesen, hätten sie sich und ihrem Land viel Zeit und Nerven erspart. Wenn Union und SPD nun miteinander sprechen, sollten sie das österreichische Beispiel vor Augen haben. Ein Kompromiss wird nicht besser, wenn man ihn verzögert. Er kostet nur mehr Zeit.”
“Nürnberger Nachrichten”:
“Im zweiten Anlauf haben sich die Kräfte der Mitte in Österreich zusammengerauft und bilden eine Koalition. Es handelt sich um ein Bündnis, dessen kleinster gemeinsamer Nenner so lautet: Es hätte alles noch viel schlimmer kommen können!
(…) Beim zweiten Mal gab es keine Ausreden mehr: Kein Mensch hätte verstanden, wenn die Verhandlungen erneut gescheitert wären. Zumal das Damoklesschwert Neuwahlen, das die erneuten Koalitionsgespräche von Anfang an begleitet hat, eine Einigung befördert hat. Denn Neuwahlen hätten am Ende nur den Freiheitlichen genutzt. (…) Dieses Schreckensgespenst ist zwar vom Tisch, doch die Bewährungsprobe folgt erst noch: Denn Österreich wird erstmals in der Nachkriegszeit von einem Dreierbündnis regiert – der Austria-Ampel.”