Spitzenbeamte sehen Lockerungen bei Aufnahmekriterien und Anreize als Gründe für den Erfolg der  Rekrutierungskampagne.

In Pension gehende Babyboomer, andere Lebensplanungen unter jungen Menschen, die Corona-Pandemie und nicht zuletzt für viele immer schwieriger zu erfüllende Anforderungen für den Job: Die heimische Polizei hatte in den vergangenen Jahren durchaus Schwierigkeiten, ausreichend Nachwuchs zu bekommen.

10.000 neue Bewerber

Die Verantwortlichen reagierten mit einer Rekrutierungskampagne, und die scheint Früchte zu tragen: Im ersten Halbjahr bewarben sich rund 10.000 Menschen für den Polizeiberuf.

32.635 Polizisten, ein Allzeithoch 

“Ich freue mich schon, demnächst die 40.000ste oder den 40.000sten Mitarbeiterin bzw. Mitarbeiter im Ressort zu bekommen”, sagte der für Personalfragen zuständige Leiter der Präsidialsektion (I) im Innenministerium, Karl Hutter, im Gespräch mit Journalisten. “32.635 davon sind Polizisten, ein Allzeithoch.” Dass natürlich nicht jede und jeder, der oder die sich bewirbt, auch in der Polizeischule aufgenommen wird, räumte Hutter ohne Umschweife ein, machte aber darauf aufmerksam, dass die Aufnahmequote deutlich besser geworden ist, vor allem auch wegen mancher Erleichterung bei den Kriterien. “Wie ich begonnen habe, lag die Quote bei 1:7, sprich, von sieben Bewerberinnen und Bewerbern wurde eine oder einer aufgenommen. Jetzt liegt sie bei 1:3, 1:4.”

Sichtbare Tattoos 

Das liege einerseits daran, dass einiges, was früher vorab bei der Aufnahme verlangt wurde, nun während der Ausbildung gemacht wird, die Schwimmprüfung zum Beispiel. Viel hat Hutter zufolge die Lockerung der Tätowierungsvorschriften gebracht. “Das war ein echter Showstopper.” Früher durften angehende Polizistinnen und Polizisten keine sichtbaren Tattoos aufweisen, was dem Sektionschef zufolge nicht mehr zeitgemäß war.

Gratis-Klimaticket 

Eine Tätowierung ist jetzt nur mehr dann ein Ausschließungsgrund, wenn “sie auf die Zugehörigkeit zu einer verfassungsgefährdenden Gruppe schließen lässt oder sie geeignet ist, das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung der angestrebten dienstlichen Aufgaben zu erschüttern”, wie es in den Bewerbungsvoraussetzungen heißt. Dazu kommen Anreize wie ein Gratis-Klimaticket, Prämien, wenn Beamte sich Bewerbende bringen, oder in Wien die Möglichkeit, eine günstige Startwohnung zu erlangen.

Babyboomer, die in Pension gehen 

Mehr als 3.000 der 10.000 Bewerbungen im ersten Halbjahr entfielen auf die Bundeshauptstadt, was nahezu eine Verdreifachung der Zahlen gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutete. Was die Wiener Exekutive auch dringend benötigt, denn durch die Babyboomer, die jetzt in Pension gehen, verliert die Polizei in der Stadt jedes Jahr etwa 180 bis 190 Beamte, und das bis 2028, erläuterte Wiens Polizeipräsident Gerhard Pürstl. Derzeit versehen in der Bundeshauptstadt rund 7.200 Beamtinnen und Beamte ihren Dienst.

Sie haben ein gutes Drittel des österreichweiten Kriminalitätsaufkommens zu bewältigen. Dazu kommen heuer – im Wahljahr – etwa 20.000 Versammlungen sowie zahlreiche Sport- und andere Großveranstaltungen. In Wien befinden sich die Sitze vieler internationaler Organisationen und aller diplomatischen Vertretungen. “Die Großstadt ist eine sicherheitspolizeiliche Herausforderung”, betonte Pürstl und verwies auf Brennpunkte in den Flächenbezirken, insbesondere Favoriten, Ottakring, Rudolfsheim-Fünfhaus oder auch Floridsdorf.

Wien wächst, braucht mehr Polizei

Die Bevölkerung in der Bundeshauptstadt ist durch die Zuwanderung in den vergangenen Jahren zudem stark angewachsen und liegt nun an der Zwei-Millionen-Schwelle. Dabei haben viele der Zugewanderten aus ihren Herkunftsländern eine kulturelle Eigenheit mitgebracht, die man in Mitteleuropa nicht so gewohnt war. “Das Leben spielt sich viel mehr im öffentlichen Raum ab”, sagte Pürstl. Das führt dem Polizeipräsidenten zufolge auch zu mehr öffentlich wahrnehmbaren Auseinandersetzungen. Er verwies in dem Zusammenhang auf die jüngsten, ethnischen Konflikte zwischen Menschen syrischer und afghanischer Abstammung auf der einen sowie tschetschenischer Abstammung auf der anderen Seite.

Beinahe tödliche Messerstecherei – Polizei in zwei Minuten vor Ort

Bei Stufe-eins-Einsätzen – etwa die beinahe tödliche Messerstecherei in Favoriten am Wochenende – betrage die Anfahrtszeit der Wiener Polizei aber zwei Minuten, “ein internationaler Spitzenwert”, wie Pürstl bemerkte. “Eines ist aber klar: Wir brauchen mehr Polizei, und dann ist alles gut – das ist natürlich nicht so.” Die Ursachen für kriminelles Verhalten könne die Polizei nicht maßgeblich beeinflussen, sondern sei auf die Zusammenarbeit mit ihren Partnern – zum Beispiel Familien, Sozialorganisationen und -behörden, Schulen – angewiesen. “Wenn Bildung und Beschäftigung da sind, ist schon vieles gemacht.”

“Ich wäre aber ein schlechter Präsident, wenn ich nicht mehr Personal wollen würde”, sagte Pürstl. Dabei gehe es um die Frage der Belastung der Beamtinnen und Beamten. Vor allem Überstunden sind dabei ein Kriterium. Wobei nicht jede Überstunde gleich ist, räumten Hutter und Wiens Polizeichef ein. Sie führten eine Mitarbeiterbefragung ins Treffen, wonach die Überstunden an sich nicht so ein Problem wären, “aber die unvorhergesehenen”. Pürstl konkretisierte: “Wenn man um 17.00 Uhr auf der Dienststelle erfährt, dass man die Nacht über da bleiben muss.”

Die Drop-out-Rate unter Polizisten sei aber nicht so hoch wie medial kolportiert: “Im ersten Halbjahr heuer quittierten 105 Beamtinnen und Beamte den Dienst. Inklusive Polizeischüler”, sagte Hutter.

Der Wiener Polizeipräsident äußerte sich zu Kritik von anderer Seite, etwa von Bezirksvorstehern in der Bundeshauptstadt, die immer wieder beklagen würden, dass es zu wenig Beamte auf den Dienststellen in ihrem Bezirk gebe. “Einsätze in einem Bezirk müssen nicht allein von den Bezirkskräften bewältigt werden, sie werden auch von anderen Einheiten unterstützt”, betonte Pürstl. Es gebe die Diensthundeeinheit, die Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung (WEGA), die Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (EGS), die ordnungspolizeilichen Einsatzeinheiten (EE) und die Bereitschaftseinheit (BE), “die wir so einsetzen, wie wir sie gerade brauchen”. Wie etwa auch bei der Messerstecherei in Favoriten: “Da waren auch nicht Bezirkskräfte die ersten am Tatort, sondern eine Einheit der EE.”

Einen Wunsch hatten beide Spitzenbeamten an die Politik, egal, wer nach den Nationalratswahlen im September die Regierung bilden und welcher Innenminister in der Herrengasse sitzen wird: “Die Rekrutierungskampagne unbedingt fortsetzen.”

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